Menü
Kinderärztin Dr. Gudrun Binz berichtet vom Hilfseinsatz

Sindelfingen/Chelm: Das Bild der blassen Kinder hat sich eingebrannt

Die erste Gruppe Helfer aus Sindelfingen ist am Sonntag aus Chelm zurückgekehrt. Mit dabei war auch die Kinderärztin Dr. Gudrun Binz, die in einer Krankenstation für Kinder rund um die Uhr tätig gewesen ist.
Von Dirk Hamann
Die erste Gruppe ehrenamtlicher Sindelfinger Helfer ist am Sonntag aus Chelm zurückgekehrt. Auf ihrer Heimreise nahmen sie auch Flüchtlinge aus der Ukraine mit nach Sindelfingen. Bild: z

Die erste Gruppe ehrenamtlicher Sindelfinger Helfer ist am Sonntag aus Chelm zurückgekehrt. Auf ihrer Heimreise nahmen sie auch Flüchtlinge aus der Ukraine mit nach Sindelfingen. Bild: z

Sindelfingen/Chelm. Am Freitagabend vor einer Woche sind elf von der Sindelfinger Initiative „Helfen statt Hamstern“ rekrutierte ehrenamtliche Helfer von der Klosterseehalle aus mit dem Reisebus in die polnische Partnerstadt Chelm gefahren, um an der ukrainischen Grenze die Helfer bei der Versorgung von Flüchtlingen zu unterstützen. Am Sonntag sind alle wohlbehalten nach Sindelfingen zurückgekehrt - ihren Dienst in Chelm erledigen in dieser Woche andere Helfer, die am Samstag gemeinsam nach Chelm aufgebrochen sind.

Mit der ersten Gruppe nach Chelm gereist war auch die Sindelfingerin Dr. Gudrun Binz, die als Ärztin für Kinderheilkunde und Kinderkardiologie in Degerloch praktiziert. In der polnischen Partnerstadt wollte sie eigentlich nicht als Ärztin tätig sein, wollte wie die anderen aus der Gruppe mit anpacken, um Betten zu richten, Essen auszugeben, Müll zu entsorgen, Koffer zu schleppen und einfach für die Menschen da zu sein, zu trösten. Doch in Chelm wurde ir schnell klar: Sie wird als Ärztin gebraucht. „Ausgerechnet in einer Unterkunft, die zu zwei Dritteln mit Kindern belegt war, fehlte ein Kinderarzt“, so Dr. Gudrun Binz.

„Stille Post“ im Behandlungsraum

Also wurde sie dort eingesetzt, war dort an sechs von sechs Tagen rund um die Uhr zuständig. „Nicht stets anwesend. Aber stets rufbereit“, so Dr. Gudrun Binz, die bei ihrer Arbeit immer von zwei polischen Mitarbeiterinnen unterstützt wurde. Kommuniziert wurde mit Hand und Fuß in einem Gemisch aus Ukrainisch, Polnisch, Russisch, Englisch und Deutsch. „Manche Anamnese geriet da zu einer Episode des Kinderspiels 'stille Post.“

Vor allem aber in Erinnerung bleiben werden Dr. Gudrun Binz Bilder. Die Bilder der Kinder. „Sie sind blass, unsagbar blass“, so die Kinderärztin. „Ich habe noch nie, selbst auf Stationen mitkrebskranken oder blutkranken Kindern so viele so extrem blasse Kinder gesehen.“

Ressourcen sparen für das Überleben

Beim ersten Jungen, der zu ihr kam, denkt sie: „Der kollabiert mir jede Sekunde.“ Doch dann stellt sie fest, dass die Blässe mit einem normalen Blutdruck und einem normalen Blutdruck einhergeht. So wie bei den allermeisten Kindern, die die Tage zu ihr kommen klagte auch der Bub über Übelkeit und Bauchschmerzen. Erst dachte sie noch an eine grassierende Magendarm-Infektion, doch meist war kein Fieder vorhanden - auch herrschte im Darm eine „auffallende Stille“. Dann kam Dr. Gudrun Binz auf den Grund für die Blässe und die Beschwerden: „Was ich da sah, waren Kinder unter maximalem Stress. Kinder, die ihre Darmtätigkeit und ihre Hautdurchblutung auf ein Minimum reduziert hatten, um Ressourcen zu sparen für das Überleben.“

Zwei dieser Kinder waren mit im Bus nach Sindelfingen. Und Dr. Gudrun Binz stellte unterwegs fest, wie sich die Anspannung dieser Kinder mit jedem Kilometer Fahrt in Richtung Westen und weg vom Krieg, löste. Sie spielten auf den Rastplätzen, fanden ihr Lachen wieder. „Selbst im Dämmerlich der Busbeleuchtung sah man: Die Hautfarbe der Kinder ist wieder rosig.“