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Vor 80 Jahren im Krieg

Sindelfingen: Stadt und Kirche gegen Ende des Krieges

Beim Projekt „Vor 80 Jahren – Sindelfingen im Krieg“ des Stadtmuseums und Stadtarchivs Sindelfingen geht es nun um den April 1944.

Von Horst Zecha
Diese Postkarte zeigt das Innere der Martinskirche in den 1940er Jahren.

Diese Postkarte zeigt das Innere der Martinskirche in den 1940er Jahren.

Bild: Stadtarchiv Sindelfingen

Sindelfingen. Das Projekt „Vor 80 Jahren - Sindelfingen im Krieg“ stellt monatlich wechselnd ein Thema oder ein Objekt aus der Zeit vor 80 Jahren im Stadtmuseum in den Mittelpunkt. In Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv entsteht auf diese Weise ein Blick in die Vergangenheit, der unter anderem die Alltagssituation der Menschen damals in den Blick nimmt. Die Texte sind auch auf der städtischen Homepage nachzulesen.

Die Monatsvitrine April ist seit Mittwoch, 24. April im Stadtmuseum zu sehen.

Pfarrbericht von Stadtpfarrer Fischer

Im April 1944 machte sich Stadtpfarrer Fischer turnusgemäß wieder an einen Pfarrbericht, der Auskunft über die Verhältnisse in der Stadt und besonders im kirchlichen Bereich gibt. Im Vergleich zum letzten Bericht von 1940 könnte der Kontrast kaum größer sein: Hatte Fischer im Bericht von 1940 noch darüber nachgedacht, welchen Platz die Kirche nach einem „schon von Ferne winkenden, gewaltigen Sieg“ in einem nationalsozialistischen Deutschland wohl haben würde, so spiegelt der kurz gehaltene Bericht von 1944 die bedrückende und zunehmend hoffnungslose Lage wider – manchmal eher zwischen den Zeilen.

So berichtet Fischer über „ausländische Arbeiter aus aller Herren Länder“ und bezieht sich damit auf die über 3000 Zwangsarbeiter überwiegend aus der Sowjetunion, den Niederlanden und Frankreich, die größtenteils im Daimler-Benz-Werk Rüstungsgüter produzieren mussten. Anfänglich habe es noch „Ausländergottesdienste“ gegeben, aber diese seien später (staatlicherseits) verboten worden. Aus dem Kirchengemeinderatsprotokoll vom April 1944 ist zu erfahren, dass die Martinskirche tagsüber geschlossen wurde, „da durch die vielen Ausländer hier Gefährdung möglich ist.“

Luftangriffe und Bunkerbau

Stadtpfarrer Fischer, der nach der Einberufung des zweiten Pfarrers Heinrich Graser zur Wehrmacht im Februar 1943 allein für ganz Sindelfingen zuständig war, schildert in seinem Bericht die zunehmende Zahl von Luftangriffen und den Bunkerbau zum Schutz der Bevölkerung. Dabei berichtet er auch, wie versucht wurde, die Martinskirche und ihre Ausstattung vor Bombenschäden zu bewahren: „…Wasserbehälter, Kruzifix leicht abnehmbar, Glasfensterausbau bisher nicht möglich, Verstärkung der Bretterverschalung beschlossen.“

Er listet auch die bisher Gefallenen auf – allerdings nur die evangelischen: 1940: 8, 1941: 20, 1942: 37 und 1943: 44. Auch diese Zahlen spiegeln den Verlauf des Krieges wider. Zu den Beisetzungen vermerkt Fischer: „Gefallenengräber beim Friedhofskreuz. Fast durchweg kirchliche Beerdigungen gewünscht; Partei rückt vorher ab.“

Begeisterung lässt nach

Hinsichtlich des kirchlichen Lebens vermittelt Fischer das Bild einer nach wie vor intakten kirchlichen Gemeinschaft, zu der mit zunehmender Kriegsbedrohung auch wieder ausgetretene Mitglieder zurückkehren. Dazu könnte auch die etwas unscharfe Formulierung „Mehr Scheidung zwischen christlicher Haltung und Weltgeist auch in den Familien“ passen. Offensichtlich lässt die Begeisterung für den Nationalsozialismus nach, begleitet von einer Rückbesinnung auf christliche Werte.

Fischer vermerkt hierzu sehr nüchtern: „Unter dem Eindruck der Fliegerangriffe einige Wiedereintritte und Taufbeschleunigungen. Immer wieder Kinder aus dem Weltanschauungsunterricht zurück zum kirchlichen Unterricht mit und ohne Schwierigkeiten durch den Schulleiter.“ Dazu muss man wissen, dass der Schulleiter gleichzeitig Ortsgruppenleiter der NSDAP war.

„Ein etwaiger nächster Pfarrbericht wird eine neue Lage und Welt vorfinden“, hatte Stadtpfarrer Fischer am Ende seines Berichts von 1940 vermerkt. Vier Jahre später war diese Prophezeiung in ganz und gar unerwarteter Weise Wirklichkeit geworden.

Info

Das Sindelfinger Stadtmuseum in der Langen Straße 13 (Altes Rathaus) hat geöffnet: Dienstag bis Samstag von 15 bis 18 Uhr, an Sonn- und Feiertagen von 13 bis 18 Uhr. Der Eintritt ist frei.