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Leitstrahl für die Landesverteidigung

Drehfunkfeueranlage auf dem Aidlinger Venusberg

Podcast "Damals – Geschichte und Geschichten aus dem Landkreis Böblingen": Die Drehfunkfeueranlage auf dem Aidlinger Venusberg verfällt immer mehr. Das SZ/BZ-Gespräch mit Hobbyforscher Norbert Prothmann.
Von Hans-Jörg Zürn

Aidlingen. Der Venusberg in Aidlingen ist mit seinen 115 Hektar als größtes Naturschutzgebiet im Landkreis Böblingen ein beliebtes Ausflugsziel. Wer den 537 Meter hohen Tafelberg erwandert, stößt auf rätselhafte Mauerreste mitten im Wald. „Es handelt sich um Überreste einer Funk-Navigationsanlage“ sagt Norbert Prothmann von der Forschungsgruppe Untertage.

Der IT-Fachmann widmet sich historischen Themen aus der Region rund um die beiden Weltkriege. Seit gut 12 Jahren forscht er auch über die Anlage in Aidlingen, wobei sie sehr schlecht dokumentiert sei und es weitgehend an Zeitzeugen fehle. Im SZ/BZ-Gespräch gibt der Hobbyforscher Einblicke in die mittlerweile überwucherten und zerfallenen Bauten auf dem Venusberg.

Wozu diente diese Anlage? Norbert Prothmann: „Der technische Begriff lautet Drehfunkfeueranlage. Sie sollte Flugzeuge leiten. Der historische Ursprung liegt in den Leuchttürmen für Schiffe. Erste Ansätze gab es im Ersten Weltkrieg. 1916 nutzen die Militärs einen Richtstrahl. In den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts hat das Unternehmen Telefunken maßgeblich eine Technik entwickelt, wie sie in Aidlingen zum Einsatz kommen sollte. Die Anlage auf dem Venusberg hat zwei Besonderheiten. Sie war die einzige im ganzen Südwesten und die letzte ihrer Art. Insgesamt wurden 17 in Deutschland begonnen, sechs weitere waren geplant.“

Wie kam es zum Standort Aidlingen? Norbert Prothmann: „Im Landkreis Böblingen gab es ein Loch in der Luftverteidigung Deutschlands. Ab 1943 flogen die Bomber aus England über Frankreich ein und griffen beispielsweise Stuttgart von Süden oder Südwesten her an. Aidlingen lag in der Einflugschneise und bot sich deshalb an, den Jagdflugzeugen den Weg in Richtung feindlicher Verbände zu zeigen.“

Der zentrale Lagerpunkt der Anlage. Ein Teil des mittleren Gebäudes wurde gesprengt.

Eine Infrastruktur fehlte damals auf dem Venusberg. Wie muss man sich die Bauarbeiten vorstellen? Norbert Prothmann: „Diesen Nachteil haben die Planer der günstigen Lage wegen in Kauf genommen. Die Organisation Todt unter Leitung ihres Gründers Fritz Todt hat als Generalbauunternehmer des Deutschen Reichs die Arbeiten erledigt. Dabei ist gesichert, dass hier Zwangsarbeiter, darunter 35 ost-europäische Kriegsgefangene, ab Juli 1944 gearbeitet haben. Lastwagen gab es damals so gut wie keine mehr. Das Material transportierten Pferde- oder Ochsenfuhrwerke von der Verteilstation am Bahnhof Ehningen auf den Venusberg.“

„Elektro-Lokomotiven bewegten die 120 Tonnen“

Wie sah die Anlage aus? Norbert Prothmann: Kernstück war ein großer Betonkranz, 70 Zentimeter hoch, 1,50 Meter breit und 22,6 Meter im Durchmesser. Darauf stand die riesige und 120 Tonnen schwere Antennenanlage, die sich zweimal in der Minute drehte. Als Antrieb dienten vier kleine, unbemannte Elektro-Lokomotiven. Die sahen so ähnlich aus wie die Kleinbahn auf dem Stuttgarter Killesberg. Daneben standen Baracken und zwei massive Gebäude. Ende 1944 kamen noch drei Stellungen mit Flugabwehrkanonen dazu.“

Wie sah die Strategie aus? Norbert Prothmann: „Es ging darum, eigene Flugzeuge in Richtung der feindlichen Verbände zu steuern. Zur Ortung gab es ein dichtes Netz mit optischer Technik, Horchgeräten und Radaranlagen. Die Abwehrflieger bekamen etwa aus Aidlingen ihre Informationen, wo sie den Bombern zur Abwehr begegnen konnten. Das war gerade auch bei Nachtangriffen sehr wichtig, denn auf Sicht zu fliegen war da ja nicht möglich. Die Anlagen wie die auf dem Venusberg sendeten ihre Signale in einem Radius von bis zu 400 Kilometern. Zur genauen Orientierung dienten mehrere Funkfeuer. Neben der enormen Reichweite gab es eine weitere Besonderheit. Die Piloten konnten mit dem Signal auch kurze Textnachrichten mit zehn codierten Zeichen erhalten. Mit diesen Informationen fanden sie ihre exakte Position auf Karten.“

Blieb der Bau unbemerkt? Norbert Prothmann: „Nein. Es ist für Dezember 1944 ein Überflug eines Aufklärungsfliegers dokumentiert. Die Alliierten schauten also ganz offensichtlich beim Bau zu, hielten einen Angriff aber angesichts des Baufortschritts nicht für nötig.“

Im Gebäude 1 sind noch Fundamente für die Diesel-Generatoren zu sehen.

Trotzdem kam die Anlage nie zum Einsatz. Warum? Norbert Prothmann: „Im Januar 1945 begann der Testbetrieb, für April 1945 war der Realbetrieb geplant. Als dann aber am 15. April 1945 französische Truppen in Herrenberg einmarschierten, sprengten die Deutschen die ganze Anlage auf dem Venusberg, weil sie nicht in die Hände der Alliierten fallen sollte.“

„Für viele Projekte gibt es keine lückenlose Dokumentation“

Also viel Aufwand für nichts, oder? Norbert Prothmann: „Das trifft auf viele Projekte dieser Zeit zu. Gerade in den letzten Kriegsmonaten trieb die Wehrmacht großen Aufwand. Sie hat sich dabei aber auch stark verzettelt. Für viele dieser letzten Projekte gibt es heute leider keine lückenlose Dokumentation.“

Wie geht es mit den Überresten auf dem Venusberg weiter? Norbert Prothmann: „Der Heimatgeschichtsverein Aidlingen arbeitet daran, dass eine Hinweistafel mit Erklärungen aufgestellt werden darf. Das letzte Wort hat das Regierungspräsidium als oberste Naturschutzbehörde. Für eine Restaurierung gibt es keine Pläne. Wir befinden uns dort auf einem Privatgrundstück, das öffentlich zugänglich ist. Das Zeitdenkmal bleibt sich selbst überlassen und wird eben weiter verfallen.“

Info

Führung des Heimatgeschichtsvereins Aidlingen mit Norbert Prothmann (Forschungsgruppe Untertage) zur Funknavigationsanlage auf dem Venusberg Aidlingen. Sonntag, 16. Juli 2023, 14 bis 16 Uhr. Treffpunkt um 14 Uhr an der Alten Schule / Bürgerhaus in Lehenweiler, Hauptstraße 2 in 71134 Aidlingen. Der Parkplatz ist direkt beim Treffpunkt.