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Serie Zeitgeschichte(n)

Sindelfingen: Als an der Wengertstraße noch Weinreben wuchsen

Wengertstraße und Unter den Weinbergen - Sindelfinger Straßennamen erinnern noch heute an die Weinbaugeschichte der Stadt. Über 300 Jahre mühten sich die Winzer um ein ordentliches Tröpfchen, doch so ganz klappte das nicht: Die Sindelfinger Weintrinker deckten ihren Bedarf lieber aus der Stuttgarter Region.
Von Christian Burger

Sindelfingen. Eine wichtige Voraussetzung für das Gedeihen von Weinreben ist Wärme. Die Jahre 1380 bis 1420 brachten warme Sommer. Hier dürfte der Ursprung der Sindelfinger Winzergeschichte liegen. Erstmals nachgewiesen ist der Sindelfinger Weinbau im Jahr 1465. Im 16. Jahrhundert kam es zu einem regelrechten Weinboom in Württemberg.

Zu dieser Zeit gab es etwa 45 000 Hektar Anbaufläche, rund viermal so viel wie heute. Acker- und Obstbauflächen wurden zu Weinbergen und Bauern zu Weinbauern. Schließlich musste Herzog Christoph von Württemberg 1554 eingreifen und die Neuanlage weiterer Weinberge verbieten, um die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln sicherzustellen.

Bis zu 100 000 Liter Wein aus den Sindelfinger Südhängen

Auch in Sindelfingen fanden sich geeignete Südhänge für den Weinbau. Die Rebstöcke lagen am Heinenbrunn etwa im Bereich der heutigen Straße „Unter den Weinbergen“, am Sonnenberg im Bereich des heutigen Königsknoll und am Freßberg in der Viehweide. Insgesamt umfassten die Weinberge in Sindelfingen 10 bis 15 Hektar. In sehr guten Jahren wurden so bis zu 100 000 Liter Sindelfinger Wein gekeltert.

Mit hoher Wahrscheinlichkeit wurden in Sindelfingen die damals in Württemberg weit verbreiteten Sorten Heunisch und Elbling angebaut, beides weiße Trauben, die leichte, säurebetonte Weine mit eher geringem Alkoholgehalt ergaben.

Kalte Sommer und der Dreißigjährige Krieg

Im späten 16. Jahrhundert endeten die günstigen Weinbaubedingungen in der Region. Kalte Sommer führten zu Fehlernten. Vermutlich tropische Vulkanausbrüche brachten Europa das „Jahrzehnt ohne Sommer“ und die Trauben konnten nicht mehr ausreifen. War der Ruf des „Neckarweins“ Anfang des 16. Jahrhunderts durchaus noch positiv, so wurden die Weine aus Württemberg keine 100 Jahre später häufig als „Säuerling“ bezeichnet.

Neben den schlechten Klimabedingungen sorgte ab 1618 der Dreißigjährige Krieg in ganz Mitteleuropa zu tiefgreifenden Veränderungen. Auch in Sindelfingen wurde gemordet, geschändet, vertrieben und geplündert. Pest und Hungersnöte kamen dazu, sodass die Bevölkerung von etwa 1400 Einwohnern auf 450 sank. Zum Kriegsende 1648 lagen über 150 Hektar Ackerfläche und alle Weinberge „öd und wüst“, wie es im Buch „Geschichte der Stadt Sindelfingen 1500 – 1807“ heißt, geschrieben von Hermann Weisert und erschienen im Röhm-Verlag.

Um das Land wieder zu beleben, setzte Herzog Eberhard III. von Württemberg ein gewaltiges Konjunkturprogramm in Gang. Eine der Maßnahmen war die erneute Förderung des Weinbaus. Um den Weinkonsum anzukurbeln, wurde ab 1651 sogar im ganzen Land das Bierbrauen verboten. Nur wenige Städte behielten eine Ausnahmeerlaubnis – darunter Calw. Auf herzoglichen Befehl 1649 sollten in Sindelfingen „beede häldlin, hainenbron und sonnenberg“ wieder mit Wein bebaut werden.

Weinbau auf herzoglichen Befehl

Es fand sich jedoch niemand bereit, diesem Befehl Folge zu leisten. Gründe waren die unklare Besitzlage nach dem Krieg und der zu erwartende schlechte Ertrag. Die Lage war verzweifelt und so beschlossen Vogt und Bürgermeister der Stadt Sindelfingen, die Weinberge auf die Bürger der Stadt aufzuteilen. Jeder sollte knapp 1000 Quadratmeter bewirtschaften und diese Fläche im Gegenzug als Eigentum übertragen bekommen.

Das kam bei den Bürgern durchaus gut an und etwa die Hälfte der ursprünglichen Weinbergfläche wurde wieder bebaut. Schon 1653 blieben die Weinberge jedoch wieder unbearbeitet. Der Mangel an Arbeitskräften durch den starken Bevölkerungsrückgang und die Notwendigkeit anderweitiger Feldarbeit waren mutmaßlich die Gründe.

Die herzogliche Regierung in Stuttgart hielt jedoch an ihren Weinbauplänen fest und beauftragte den Leonberger Vogt Samuel Schmid, den Sindelfingern „ernstlich und beweglich zuzusprechen“ - zum großen Missfallen der Sindelfinger Bürgerschaft.

Der Leonberger Vogt legte sich ins Zeug, packte die Sindelfinger bei der Ehre („die Einwohner von Warmbronn und Vaihingen hätten es auch geschafft, ihre Weinberge wieder zu richten“) und nahm sich zum Schluss die Bürger in Einzelgesprächen vor. Er überzeugte etwa 90 Sindelfinger, je einige Quadratmeter zu bewirtschaften. Immerhin gelang es den Sindelfingern die Kosten für Rebstöcke und Pfähle von der herzoglichen Regierung erstattet zu bekommen.

„Der schlechteste und geringste Wein des Landes“

Jedoch wurde noch 1660 festgestellt, dass die Weinberge „thails sehr schlecht, thails aber noch gar nit bestockhet“ seien. Der Grund für den mangelhaften Einsatz der Weinbauern lag wohl auch in der miserablen Qualität des Sindelfinger Weins. Das zeigt sich vor allem in den Aufzeichnungen der Sindelfinger Pfarrer. Die Pfarrer bezogen ihren Wein aus der Stiftsverwaltung Sindelfingen und die Stiftsverwaltung bekam ihren Wein als Steuerabgabe von den Sindelfinger Weinbauern.

1692 bat Pfarrer Matthäus Roschiz um Wein aus Maulbronn oder Cannstatt, da der Sindelfinger Wein „der schlechtest und geringste diß jahrs im land erwachsenen weins“ sei. Ähnlich Pfarrer Johann Andreas Wimpelin, der schrieb, dass der Sindelfinger Wein so schlecht sei, dass „denselben kein gemeiner Bauer ohne verlust seiner gesundheit würdt trinckhen können, geschweige ein geistlicher, der […] ein wenig guten weins vonnöthen hette.“ Man schien Mitleid mit dem Pfarrer zu haben. Er erhielt eine Lieferung Wein vom Stift Stuttgart.

Das Klima wird kälter und es mangelt an Kenntnissen

Die miserable Qualität des Weins lag wohl am kälter gewordenen Klima, örtlichen Gegebenheiten und mangelnden Kenntnissen der Sindelfinger Weinbauern. Der Wein war so schlecht, dass trotz des allgemeinen Bierbrauverbots in Württemberg immer wieder Sondergenehmigungen für das Brauen von Bier in Sindelfingen erteilt wurden.

Ein Anknüpfen an den vermutlich etwas höherwertigen Sindelfinger Weinbau vor dem Dreißigjährigen Krieg gelang nicht mehr. Um das Jahr 1770 endete nach über 300 Jahren der Weinbau in Sindelfingen.

Streuobstwiesen ersetzten die Weinreben und prägten das Landschaftsbild der Sindelfinger Südhänge bis zu deren Erschließung als Wohngebiete in den 1950er und 1960er Jahren. Die Flurbezeichnungen „Wengert“ blieb und gab der Wengertstraße und Unter den Weinbergen Ihre Namen.