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Im Stuttgarter Mercedes-Benz-Museum

Der Über-Flügler: Mercedes-Benz 300 SL Coupé

Den Supersportwagen Mercedes-Benz 300 SL Coupé stellt die Marke im Februar 1954 vor – vor 70 Jahren. Im „Raum Mythos 4“ im Stuttgarter Mercedes-Benz-Museum zu bewundern.
Von Konrad Schneider
Im Mercedes-Benz Museum, Raum Mythos 4: Wunderjahre – Form und Vielfalt (1945 bis 1960). Bild: z

Im Mercedes-Benz Museum, Raum Mythos 4: Wunderjahre – Form und Vielfalt (1945 bis 1960). Bild: z

Stuttgart. „Close-up“ – der Name der Serie des Mercedes-Benz Museums ist Programm. Jede Folge erzählt Überraschendes, Spannendes, Hintergründiges. Dazu wirft sie den Spot auf Details eines Fahrzeugs, Ausstellungsexponats oder eines Elements von Architektur und Gestaltung. Diesmal im Blick: das Mercedes-Benz 300 SL Coupé (W 198) im Raum Mythos 4: Wunderjahre – Form und Vielfalt (1945 bis 1960).

Star

Der silberne „Flügeltürer“ mit roter Innenausstattung ist ein Publikumsmagnet. Kaum ein Besucher verlässt den Raum Mythos 4, ohne mindestens ein Bild aufzunehmen. Viele fotografieren es von allen Seiten und mit allen Details. Ein 300 SL ist diese Aufmerksamkeit gewohnt – seit der Premiere vor 70 Jahren ist er ein Traumwagen.

Sensation

New York am 6. Februar 1954. Die International Motor Sports Show öffnet – und Mercedes-Benz überrascht die Weltöffentlichkeit mit einem vollkommen unerwarteten Auto. Die Marke präsentiert einen Supersportwagen. Sein Name: 300 SL. Ein Kernmerkmal sind die Flügeltüren, damals einzigartig in einem Serienfahrzeug und bis heute ein faszinierendes Detail.

Premiere

Mercedes-Benz ist sich der Bedeutung des 300 SL bewusst und inszeniert ihn passend. Der Star steht auf dem Messestand leicht erhöht auf einem runden Podest, das bedeckt ist mit einem sorgsam drapierten Stoff. Im Vergleich bleibt die zweite Neuheit direkt daneben ein wenig zurück. Es ist der 190 SL (W 121), ein eleganter Roadster. Beide Fahrzeuge zielen stark auf den US-amerikanischen Markt. New York ist daher der bewusst gewählte Ort für die Weltpremiere.

Rennsportgene

Die Grundform des 300 SL entspricht dem gleichnamigen Rennsportwagen aus dem Jahr 1952, mit dem sich Mercedes-Benz fulminant im internationalen Motorsport zurückmeldet. Mille Miglia, 24 Stunden von Le Mans, Carrera Panamericana – die Topplatzierungen bei den schillerndsten Sportwagenrennen der Welt schreiben sich in die Gene des Serienfahrzeugs von 1954 ein.

Auch die nach oben öffnenden Türen des neuen 300 SL Coupés stammen vom Rennsportwagen (W 194). Allerdings erhält das Coupé eine eigene Baureihennummer – es heißt W 198.

Blickfang

Die Türen sind weder Marketing-Gag noch Spielerei, sondern notwendig: Wie der Rennsportwagen hat der 300 SL unter der Karosserie einen leichten und sehr stabilen Gitterrohrrahmen. Er baut an den Seiten vergleichsweise hoch. Das schließt Einstiegsöffnungen mit herkömmlichen Türkonstruktionen aus. Die Flügeltüren machen Furore.

Spitznamen

Die Öffentlichkeit gibt dem Coupé rasch passende Namen. „Flügeltürer“ heißt er im deutschen Sprachraum, die Amerikaner nennen ihn „Gullwing“ (Möwenschwinge) und die Franzosen „Papillon“ (Schmetterling).

Aufsteller

Die Flügeltüren erfordern mehrere konstruktive Details. Unscheinbar und dennoch essenziell sind die oben angebrachten Federn. Sie erleichtern das Aufschwenken und halten die Türen zudem in der Offenposition – ein wichtiges Komfortelement des Seriensportwagens. Die Federn laufen in eleganten Chromrohren.

Glaswerk

Kurbelscheiben lassen sich nicht unterbringen. Die Rechteckscheiben sind herausnehmbar und lassen sich im Kofferraum transportieren. Ein Hebel löst den Haltemechanismus aus. Daneben gibt es kleine drehbare Dreieckfenster, um die Belüftung zu unterstützen.

Bahn frei

Eine Konsequenz der Flügeltüren ist außerdem die Lenkradkonstruktion – sie lässt sich nach unten schwenken, um den Einstieg der Beine in den Fußraum zu erleichtern. Ein kleiner Hebel an der Nabe entriegelt und verriegelt den Volant.

Evolution

Trotz schwenkbaren Lenkrads ist das Einsteigen in das Coupé nicht komplett komfortabel. Das 1957 erscheinende Nachfolgemodell, der 300 SL Roadster, ändert dies. Diese offene Ausführung erhält vorn angeschlagene Türen. Dafür wird der Gitterrohrrahmen geändert und baut am Einstieg niedriger.

Handschmeichler

Ein hübsches und zugleich funktionales Detail ist der äußere Türgriff. Ein leichter Druck auf den kleinen hervorstehenden Teil lässt ihn hervorklappen – ein Zug daran, und die Tür schwenkt auf. Das ist elegant und unterstützt außerdem die Aerodynamik. Heutige Fahrzeuge von Mercedes-Benz greifen das Prinzip wieder auf: Sie haben optional flächenbündige Türgriffe. Diese fahren automatisch aus, sobald sich der Schlüssel in unmittelbarer Fahrzeugnähe befindet, und wieder ein, sobald das Auto verriegelt ist oder losfährt.

Technik

Zum Supersportwagen machen ihn das vorzügliche Fahrwerk, die nahezu ideale Gewichtsverteilung und der innovative Sechszylindermotor. Es ist der weltweit erste serienmäßige Viertakt-Einspritzmotor mit Direkteinspritzung in einem Personenwagen. Eine Höchstgeschwindigkeit von bis zu 250 km/h – Mitte der 50er-Jahre eine außergewöhnliche Fahrleistung. Neu ist außerdem die Frontgestaltung mit großem Zentralstern.

Signalwirkung

Der Coup gelingt. Mühelos erobert der „Flügeltürer“ Kunden im Segment hochexklusiver Supersportwagen. 1400 Fahrzeuge des 300 SL Coupé werden von 1954 bis 1957 gebaut, dann folgen noch einmal 1858 Roadster. Jeder einzelne 300 SL ist schon damals eine Ikone – und fasziniert bis heute unverändert.


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