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Pro & Contra

Keine Noten in der Grundschule

In einem Pro & Contra für die SZ/BZ beleuchten Benedikt Reinhard vom Kultusministerium und SZ/BZ-Redakteur Hansjörg Jung das Thema aus ihrer Sicht.
Von Jürgen Haar

Sindelfingen. In diesem Schuljahr nehmen 35 Grundschulen in Baden-Württemberg am Schulversuch „Lernförderliche Leistungsrückmeldung in der Grundschule“ teil. Der Schulversuch ist auf vier Jahre ausgelegt. Aus dem Kreis Böblingen sind die Grundschulen Döffingen und Gäufelden mit dabei. „Wir wollen mit dem Schulversuch untersuchen, wie es sich auswirkt, wenn Schülerinnen und Schüler differenzierte Leistungsrückmeldungen statt Noten bekommen“, sagt Kultusministerin Theresa Schopper.

Der Schulversuch ist umstritten und wird unter anderem vom Philologenverband kritisiert: „Kinder und Jugendliche wollen sich vergleichen und suchen Herausforderungen. Von daher ist die Idee, sie vor allen Schwierigkeiten und Hindernissen zu bewahren und daher auf Noten zu verzichten, schon vom Ansatz her verfehlt“, sagt der PhV-Landesvorsitzende Ralf Scholl.

Pro

Motivation und Lernbereitschaft Von Benedikt Reinhard, Pressesprecher des Kultusministeriums

Aus der Forschung wissen wir, dass sich differenzierte Rückmeldungen positiv auf Motivation und Lernbereitschaft auswirken können. In unserem Schulversuch ‚Lernförderliche Leistungsrückmeldungen‘ wollen wir deshalb gemeinsam mit 35 freiwillig teilnehmenden Grundschulen untersuchen, wie es sich auswirkt, wenn statt einer Note den Kindern kontinuierlich eine ausführlichere Rückmeldung zu ihrer Leistung gegeben wird.

Das heißt, die Kinder sollen eine Rückmeldung jeweils dazu bekommen, wie gut sie schon lesen oder schreiben können, und auch, wie gut sie zum Beispiel die Rechtschreibung beherrschen. Und natürlich sollen sie auch eine Rückmeldung bekommen, wie sie in ihrem Lernen noch besser vorankommen. Dadurch sollen Kinder, Eltern und Lehrkräfte besser erkennen können, in welchen Bereichen noch gezielt geübt, beziehungsweise gefördert werden sollte.

Die positiven Auswirkungen ausführlicher Leistungsrückmeldungen auf die Motivation sind auch ein Grund, warum in Unternehmen ebenfalls auf differenzierte Rückmeldungen gesetzt wird. Nicht etwa, weil es dort nicht um Leistung geht, sondern weil man Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dadurch helfen kann, ihr Potenzial noch besser zu entfalten. Für uns ist dabei selbstverständlich, dass wir nicht „einfach so“ eine Methode ausprobieren, sondern unseren Schulversuch wissenschaftlich überprüfen.

Der Versuch läuft mit den 35 Schulen, die auf freiwilliger Basis teilnehmen, über vier Jahre und wird in dieser Zeit vom Institut für Bildungsanalysen Baden-Württemberg (IBBW) nach wissenschaftlichen Kriterien evaluiert. Am Ende wollen wir dann eine fundierte Aussage dazu haben, ob die kontinuierlichen und ausführlichen Leistungsrückmeldungen bei den Kindern positive Effekte auf die Lernmotivation und letztlich auch auf ihre schulische Leistung haben.

Contra

Notenfreiheit – zu kurz gesprungen Von Hansjörg Jung, SZ/BZ-Redakteur

Es ist zunächst zwar nur ein Schulversuch – aber auch daran darf man berechtigte Bedenken anmelden. Eine Leistungsgesellschaft, die auf Leistungsbewertungen verzichtet und gleichzeitig nach jeder PISA-Studie auf die Schule im Allgemeinen und auf die Lehrer im Besonderen eindrischt? Das passt nicht zusammen.

Noten sind eine Form der Leistungsbewertung. Und: Schlechte Noten tun weh. Behindern manche Kinder auch in ihrem Lerneifer. Aber Kinder sind nicht blöd. Sich zu vergleichen, ist für sie die natürlichste Sache – ob beim Kicken, beim Spielen oder eben auch in der Schule, wenn der eine länger braucht zum Lösen einer Aufgabe, oder wenn die andere gar eine ganz andere Lektion zu lernen hat –, das merken Kinder sehr wohl und sie vergleichen sich.

Der Test oder die Schulnote müssen nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Längerfristige Leistungsnachweise und individuelle Beurteilungen haben auch ihre Berechtigung – man könnte beide Formen auch kombinieren. Doch allein das Augenmerk darauf zu richten, was Noten bei Kindern anrichten können, ist zu kurz gesprungen. Die Schweden verteilen bis zur sechsten Klasse auch keine Noten.

Doch sie lassen auch nicht die Lehrer im Regen stehen. Sie werden an vielen Schulen von Sozialarbeitern, Schulpsychologen und Sonderpädagogen unterstützt, die dafür geschult sind, dem nachzugehen, warum es mit dem Lernen nicht ganz so gut klappt. Man muss ja nicht gleich so weit gehen wie die Niederländer, die Schwänzen und Verweigerung gegebenenfalls scharf sanktionieren.

Keine Noten? Kann man schon mal machen. Aber ohne das begleitende Personal, das die Lehrer unterstützt, macht das nicht viel Sinn. Benotung und Leistungsbeurteilung dürfen nicht automatisch mit Drill und Druck gleichgesetzt werden. Und in den weiterführenden Schulen ist dann ohnehin Schluss mit der Notenfreiheit. Ob es dann einfacher wird für die Kinder, sei dahingestellt.