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Der Bräutigam fiel fünf Monate nach der Trauung

Das besondere Hochzeitskleid der Marianna Keppler im Juni 1944

Das Kleid wurde aus Vorhangstoff genäht

Von Illja Widmann
Das Hochzeitskleid aus Vorhangstoff. Bild: Stadtarchiv Sindelfingen

Das Hochzeitskleid aus Vorhangstoff. Bild: Stadtarchiv Sindelfingen

Bild: Stadtarchiv Sindelfingen

Sindelfingen. Am 17. Juni 1944 fand in Böblingen eine Trauung statt, die Aufmerksamkeit in der Bevölkerung erregte. Die 19-jährige Marianne Keppler aus Sindelfingen trat mit ihrem Bräutigam Hermann Körner vor den Altar. Das Brautpaar gehörte unterschiedlichen Konfessionen an. Sie stammte ursprünglich aus Biberach, war katholisch getauft und kirchlich sehr engagiert, er war evangelisch.

Das Paar hatte sich für eine katholische Trauung entschieden, die in Böblingen in St. Bonifatius vollzogen wurde, da in Sindelfingen nur eine kleine Notkirche existierte. Gemischtkonfessionelle Paare und Trauungen waren in dieser Zeit eine Ausnahme und wurden von der Bevölkerung kritisch beäugt.  Die junge und noch nicht volljährige Braut trug bei der Hochzeit ein Kleid, das von der Damenschneidermeisterin Anna Steinle gefertigt wurde. Doch woher sollte sie das Material nehmen, in einer Zeit, in der jeder Stoff- und Garnrest gesammelt und abgegeben werden  musste?

Aufgrund der Fliegerschäden im ersten Halbjahr 1944 wurde auf dem Gebiet des Deutschen Reichs die 3. und 4. Reichskleiderkarte, die zum Bezug von Textilien berechtigte, außer Kraft gesetzt. Somit konnten Erwachsene keine reguläre Kleidung und erst recht keine Hochzeitsbekleidung für sich erwerben. Die Lösung ergab sich für Anna Steinle in der  Umarbeitung eines Vorhangs. So feierte die junge Braut ihre Hochzeit in einem besonderen Kleid, das noch heute Zeugnis ablegt vom Einfallsreichtum der Menschen in Notzeiten.  Auf den ersten Blick ist die ursprüngliche Nutzung des Stoffs nicht zu erkennen. Die Schneiderin Anna Steinle war in Sindelfingen vermutlich die erste Frau, die bereits in den 1920er-Jahren als geprüfte Meisterin ihre Tätigkeit ausübte. Diese Fähigkeit machte sie sich auch in Zeiten der Mangelwirtschaft zunutze. Bereits ab Anfang 1943 wurde in Zeitungen und in Flugblättern regelmäßig eine „schlichte Kleidergestaltung“ propagiert.  Das neu vermählte Paar erlebte übrigens nur eine kurze Zeit der Zweisamkeit. Hermann Körner fiel bereits am 12. Dezember desselben Jahres in Lothringen, als die alliierten Truppen die von den Deutschen besetzten Gebiete zurückeroberten.