Der Hoffnungsträger aus Sindelfingen
Mittwoch zehn Stunden am Telefon, Donnerstag Konferenzen bis in die Nacht hinein und so geht es gerade weiter. Dr. Florian von der Mülbe gehört derzeit zu den gefragtesten Menschen überhaupt. Vor allem seit durchgesickert war, dass Donald Trump seine Fühler nach dem Unternehmen ausstreckte, das der Sindelfinger 2000 zusammen mit Ingmar Hoerr und Steve Pascolo ins Leben rief.
Was in den letzten Wochen genau passierte, ist nicht klar. Berichte vom Milliarden-Angebot, damit das Unternehmen in die USA wechselt und die Vereinigten Staaten vielleicht sogar exklusiv auf den Impfstoff gegen Corona zugreifen, sind heute dementiert. Aber den runden Tisch hatte es sicher gegeben. Der US-Präsident holte potenzielle Retter in der Corona-Krise ins Haus und führte Gespräche, dabei auch Vertreter von Curevac. Es ranken sich Spekulationen darum, aber es gibt Wichtigeres, als diese zu bedienen. Es geht darum, den Impfstoff gegen den Coronavirus zu testen und auf den Markt zu bringen.
„Er war kein Streber“
Dr. Florian von der Mülbe hat wenig Zeit. Falls möglich, schaltet er sich abends mit seiner Frau Kiriakoula in die Face-Time-Konferenz ein, wenn sich seine Eltern Ulrich und Christiane zusammen mit den Enkeln vom Tag verabschieden und familiäres besprechen. Ansonsten gilt volle Konzentration auf die Labore und die Produktion, für die er als Produktionsleiter verantwortlich zeichnet. Die Oberfläche des Virus ist mittlerweile bekannt, hier gilt es anzugreifen.
Wer ist Dr. Florian von der Mülbe? Nach der Grundschule auf dem Goldberg wechselte er aufs Goldberg-Gymnasium, um dort das Abitur mit der Note 1,0 zu bestehen. „Er war kein Streber und galt auch als keiner“, sagt sein Vater Ulrich von der Mülbe, der selbst zu den legendären Lehrkräften der Schule gehört. Rund 30 Jahre lang lehrte er Französisch, Deutsch und leitete Theatergruppen, half auch noch nach der Pensionierung noch dabei, wenn es darum ging, Musicals einzustudieren. Seinen Sohn beschreibt er zur Schulzeit „als sehr gut organisiert“.
Wenn die Schule aus ist, geht es raus auf den Freiplatz auf dem Goldberg, ein paar Körbe werfen mit seinen Jungs. Oder zum VfL Sindelfingen, wo er mit Jörg Ahrens, Aydin Düzgün, Simon Morgenstern, Frank Mössinger oder dem viel zu früh verstorbenen Paulo Pinheiro antritt. „Er stellte sich nicht in den Mittelpunkt, war eher zurückhaltend“, erinnert sich Yilmaz Türk nur schwer. „Ich weiß noch, wie sie alle auf diese teuren amerikanischen Basketball-Schuhe scharf waren“, sagt sein Vater Ulrich. Air Jordans waren das Größte.
Sein Sohn erreicht viel Größeres. Wohl auch, weil ihn sein Biolehrer Nobert Scholz motiviert und inspiriert. Florian von der Mülbe wählt die Biochemie, studiert und promoviert an der Universität Tübingen unter Günther Jung. Grundlage für Curevac ist dort die Doktorarbeit von Ingmar Hoerr. Ribonukleinsäure (RNA), so die Erkenntnis, kann als Therapeutikum oder Impfstoff zielgenau eingesetzt werden. Das bedeutet: Der Stoff lässt sich programmieren, das Immunsystem auf den Punkt ausrichten.
Curevac ist gegründet – einige Jahre lang hat das Start-Up schwer zu kämpfen, forscht und arbeitet in Tübinger Uni-Laboren, lebt auch von Innovationspreisen. Um zu bestehen, produziert Curevac vor allem für andere Unternehmen. Die eigenen Visionen rücken in den Hintergrund. Es droht gar das Aus, bis der Biotechniker Friedrich von Bohlen den Kontakt zu Dietmar Hopp herstellt und diesen für das Feld der Biotechnologie begeistert. Der SAP-Gründer und Milliardär steigt voll mit seiner Holding ein, Curevac erfindet sich neu und konzentriert sich voll auf eigene RNA-Wirkstoffe.
Die Idee wird zum „Einhorn“
Die Idee wird zum „Einhorn“. So heißen Startup-Unternehmen mit einer Marktbewertung von über einer Milliarde US-Dollar ohne Börsengang oder Exit. Heute sind es noch ganz andere Summen. 450 Mitarbeiter sind an Bord. 2015 steigt die Bill & Melinda Gates Foundation ein. Curevac arbeitet unter anderem an Medikamenten gegen Prostatakrebs und Malaria-Prophylaxe für Afrika. Dann kommt Corona, und alle Augen richten sich auf die Schwaben, selbst die von Donald Trump.
Auch für Dr. Florian von der Mülbe ist es ein zusätzlicher Ausnahmezustand in diesen Krisenzeiten. „Es ist erstaunlich, wie er damit umgeht. Wer ihn erlebt, ahnt nicht, welche Entscheidungen er trifft und welche Verantwortung er trägt. Er bleibt bei allem geerdet und bescheiden, lässt sich nicht einmal mit seinem Doktortitel ansprechen. Da hat er sowieso noch nie Wert gelegt“, sagt Ulrich von der Mülbe über seinen Sohn.
Die große Frage ist: Wann kommt der Impfstoff? Dieser muss auf Sicherheit und Wirksamkeit ausgetestet werden, bevor er an Menschen verteilt wird. Curevac möchte im Sommer mit klinischen Tests beginnen, wonach das Ziel auf den Herbst hinaus laufen könnte. Das Robert-Koch-Institut tritt da auf die Bremse.
Auch das Paul-Ehrlich-Institut, als Bundesinstitut für Impfstoffe für die Zulassung zuständig, hält das für zu ambitioniert. Derweil hat das Biotechnologieunternehmen Moderna aus Cambridge gemeinsam mit dem US-amerikanischen National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID) ebenfalls einen Impfstoff auf RNA-Basis entwickelt und diesen nach Angaben von US-Wissenschaftlern bereits Menschen injiziert.
Die Zeit rast. Für Dr. Florian von der Mülbe ganz besonders.