

Einen Termin mit Schulleiter Bodo Philipsen zu bekommen, ist in diesen Tagen kein leichtes Unterfangen. „Mein Terminkalender ist sehr voll“, entschuldigt sich der 65-Jährige. Das liegt nicht nur daran, dass sich das Schuljahr dem Ende neigt, sondern auch daran, dass sich der Herrenberger am 25. Juli nach 15 Jahren am Gymnasium in den Pfarrwiesen und nach 40 Jahren als Lehrer in den Ruhestand verabschiedet.
Untätig zu sein, war noch nie sein Ding. Auch jetzt, wenn sich die Tage bis zu seinem Ruhestand an einer Hand abzählen lassen, lässt es Bodo Philipsen nicht ruhig angehen. Im Gegenteil. Trotz jeder Menge Organisationsarbeit so kurz vor den Ferien, springt er im Schulalltag ein, wo es nötig ist. „Ich lasse mir gerade jede Vertretungsstunde geben, die ich übernehmen kann“, sagt Bodo Philipsen.
Der 65-Jährige ist Pädagoge aus Leidenschaft. Benachteiligten Schülern eine zweite Chance geben, die Arbeit mit jungen Menschen – all das sind Dinge, für die er auch nach 40 Jahren brennt. Dabei stand der Lehrer-Beruf lange nicht auf seiner Wunsch-Liste. Sind es doch die autoritären Lehrer als Überbleibsel aus der NS-Zeit, gegen die sich der gebürtige Stuttgarter auflehnt und mit Demonstrationen sogar sein Abitur riskiert.
Über Umwege zum Lehramt
Zum Lehramt kommt der Jura- und Volkswirtschaftsstudent an der Uni Tübingen über Umwege. In den Semesterferien jobbt er in einem Werk-Gymnasium in Heidenheim und erkennt: Bildung und praktische Fertigkeiten müssen sich nicht ausschließen. Kurzerhand bricht er sein erstes Studium nach 3 Semestern ab und schreibt sich für die Fächer Germanistik, Geschichte und Politikwissenschaft ein. Sein Ziel: das Staatsexamen.
Für seinen Lebensunterhalt zahlt sein Vater, Vorstandsvorsitzender der Firma Voith-Maschinenbau aus Heidenheim, 500 Mark im Monat. Weil das für Miete, Kleidung und Lebensmittel nicht reicht, arbeitet Bodo Philipsen nebenher. Auf dem Bau. Egal ob bei -10 Grad im Winter oder kurz vor dem Hitzschlag im Sommer. „Das war kein Vergnügen. Aber im Nachhinein betrachtet finde ich das gut. Wäre ich von meinem Vater finanziell verwöhnt worden, was er sich durchaus hätte leisten können, dann hätte ich mich aus meiner Sicht nur schlechter entwickeln können“, sagt Bodo Philipsen.
Als Student gründet er die Juso-Hochschulgruppe in Tübingen, wird kurz darauf Teil des Landesvorstands und landet schließlich im SPD-Vorstand – all das, ohne überhaupt Mitglied der Partei zu sein. „Ich hatte vieles an der SPD zu kritisieren“, sagt er. Ende der 70er wird er schließlich Mitglied. Bis heute engagiert er sich für die SPD in Herrenberg. Seit 30 Jahren sitzt er für die Partei im Gemeinderat, seit 26 Jahren ist er Fraktionsvorsitzender. „Ich wurde auch gefragt, für den Bundestag zu kandidieren“, sagt Bodo Philipsen. Doch er lehnt ab. „Die Entscheidung war richtig und meine Frau und meine zwei Kinder waren mir wichtiger. Aber ich hätte auch gerne Politik in Berlin gemacht.“
Weder als Kommunalpolitiker noch als Schulleiter nimmt er ein Blatt vor den Mund. Der schlechte Zustand der Schulgebäude, fehlende Chancengleichheit, Lehrerarbeitslosigkeit und Integration – das sind nur einige der Themen, für die er sich, in den letzten vier Jahren auch als geschäftsführender Schulleiter der Sindelfinger Gymnasien, unermüdlich einsetzt. „Ich kämpfe gerne und mit Begeisterung für die Schüler und die Schule und das bis zum letzten Tag, auch wenn manche Diskussionen ermüdend sind“, sagt er.
Seine offene Kritik hat für Bodo Philipsen schon so manche Konsequenzen gehabt. Wie etwa bei seiner Zulassungsarbeit am Ende seines Referendariats in Sinsheim und Bietigheim-Bissingen. Weil es dem Fachleiter nicht passt, dass er sich darin kritisch über einen in Sinsheim ansässigen Chemiekonzern auslässt, bewertet er die Arbeit mit der Note 5. Die Folge: Der junge Lehrer wird direkt nach seinem Referendariat arbeitslos.
Er hat Glück im Unglück. Bereits vor den Herbstferien 1981 wird er am Schickhardt-Gymnasium in Herrenberg eingestellt. Dort sucht man nämlich händeringend nach einer Lehrkraft. Die Einstellung ist für Bodo Philipsen doppeltes Glück. Er ist nicht nur seine Zukunfts-Sorgen los, sondern findet in dem Schulleiter Martin Zeller, der in der Friedensbewegung aktiv ist, sein pädagogisches Vorbild. Während der 23 Jahre in Herrenberg fokussiert er sich auf Themen wie Projektarbeit und Schulentwicklung. Wird Gemeinschaftskunde-Fachberater am Regierungspräsidium und berät andere Schulen. „Als Schulleiter kann ich diese Erfahrungen ideal bündeln“, sagt Bodo Philipsen.
Sein politisches Engagement kommt nicht von ungefähr. Ganz nach Philosoph Theodor W. Adorno hat sich bei ihm als Kind der Nachkriegszeit ein Gedanke verankert: nie wieder Auschwitz. Als leidenschaftlicher Demokrat lebt er das auch als Schulleiter, schärft das Schulprofil mit Angeboten wie der Vorbereitungsklasse für Schüler ohne Deutschkenntnisse oder islamischem Religionsunterricht.
Der Demokratie-Auftrag
„Unser Auftrag als Schule ist es, die jungen Menschen für die Demokratie vorzubereiten“, sagt er. „Demokratie ist aber auch anstrengend. Sie setzt voraus, dass man sich informiert, Meinung bezieht, sich äußert, Minderheiten und Rückschläge verkraftet und Kompromisse eingeht. Diese persönlichen Fähigkeiten des Einzelnen müssen heute, in Zeiten in denen die Demokratie so gefährdet ist wie lange nicht, hochgehalten werden.“
In wenigen Tagen findet am Gymnasium in den Pfarrwiesen seine Verabschiedungsfeier statt. „Die Arbeit mit jungen Menschen wird mir fehlen“, sagt Bodo Philipsen. Patenschaft für junge Menschen, eine Lehrtätigkeit an der Uni Tübingen im Bereich Erziehungswissenschaften, die Abnahme von Staatsexamen in Politikwissenschaften an der Uni Tübingen und nicht zuletzt die Arbeit als Kommunalpolitiker sind Dinge, mit denen er sich in seinem Ruhestand mehr befassen will. „Ich möchte auch in Zukunft weiter gestalten“, sagt Bodo Philipsen.
Er freut sich aber auch auf mehr Selbstbestimmung im Alltag und Zeit für Konzerte, Kino, Theater und seine 4 Enkel. „Freizeit war für mich bisher ein Fremdwort“, sagt Bodo Philipsen. Und auch wenn es für die Profi-Tenniskarriere inzwischen zu spät ist, will der frühere Württembergische Meister in Zukunft wieder öfter den Schläger schwingen. Egal wohin ihn sein Weg als frischgebackener Ruheständler führen wird. Eines ist klar. Ein echter Ruhestand wird das nicht werden.