

In der letzten Zeit erhält die SZ/BZ viele Zuschriften mit Überlegungen und Stellungnahmen zum Coronavirus und unserer Berichterstattung zu diesem Thema. Darüber freuen wir uns. Denn wir halten den Dialog für das wichtigste Element des Zusammenhalts unserer Gesellschaft. Wo der Dialog endet, endet unsere Gemeinschaft. Wohin dieser Weg führt, sehen wir an der hochpolarisierten amerikanischen Gesellschaft. Das kann niemand wollen.
Die Zuschriften möchten wir daher zum Anlass nehmen, ausführlich zu unserer verlegerischen und redaktionellen Arbeit Auskunft zu geben.
Die Coronavirus-Erkrankung (COVID-19) ist an sich ein wissenschaftliches Thema. Aus der Wissenschaftstheorie heraus sind wir uns bewusst: Wissenschaftliche Forschung ist nicht absolute Wahrheit, sondern der Versuch, der Wahrheit so nah wie möglich zu kommen. Bei der Erforschung eines neuen Phänomens – zum Beispiel des Coronavirus – bildet sich aus der Vielzahl der wissenschaftlichen Erkenntnisse nach und nach ein wissenschaftlicher Konsens, also ein Verständnis des Phänomens und eine Erklärung der kausalen Mechanismen dahinter, die die meisten mit dem Thema befassten Wissenschaftler für richtig halten.
Zum aktuellen Zeitpunkt kommt die überwältigende Mehrheit der mit dem Coronavirus befassten Wissenschaftler und Institute zu dem Schluss: Das Coronavirus ist eine hochansteckende Krankheit, die schwere Folgen nach sich ziehen kann und die Impfung ist für die meisten Menschen eine wichtige Maßnahme zum Schutz vor schweren Krankheitsverläufen.
Mit unserer Berichterstattung orientieren wir uns am wissenschaftlichen Konsens. Mit der Entwicklung der Pandemie und der Entwicklung von Virusvarianten kann sich der Konsens verändern – Forschung ist dynamisch. Davon ausgehend berichten wir ständig über neue wissenschaftliche Erkenntnisse. Auch Risiken – wie zum Beispiel Nebenwirkungen der Impfstoffe – und Kritik werden ausführlich thematisiert.
Einige Zuschriften merken an, dass die Impfung nicht das einzige Mittel gegen die Pandemie sei. Das ist selbstverständlich richtig: Weitere Maßnahmen sind Abstand- und Hygieneregeln, die Maskenpflicht, Corona-Medikamente (zum Beispiel Paxlovid und Molnupiravir), aber auch Einschränkungen von Sport- und Kulturbetrieb, Hotel- & Gastronomiegewerbe und Einzelhandel.
Über alle diese Maßnahmen berichten wir ausführlich vor dem Hintergrund der Fragen: Wie wirksam sind die Maßnahmen? Wie genau sind sie umzusetzen? Welcher Eingriff in die Freiheit der Menschen (zum Beispiel 2G im Einzelhandel, Maskenpflicht, Impfpflicht) ist verhältnismäßig?
Ein Beispiel zur Debatte um die Impfpflicht: Am 29.12.2021 ließen wir die Bundestagsabgeordneten Marc Biadacz (pro Impfpflicht) und Wolfgang Kubicki (contra Impfpflicht) in unserer Zeitung ausführlich Stellung nehmen. Ein Pro/Contra ist aus unserer Sicht eine besonders sinnvolle Darstellung, um die unterschiedlichen Aspekte einer Diskussion aufzuzeigen.
In einem der neuesten SZ/BZ-Impfpflicht-Beiträge vom 26.01.2022 erörtern wir im Interview mit Stephan Rixen, Professor für Öffentliches Recht und Mitglied im Ethikrat, welche rechtlichen Hürden eine Impfpflicht hätte. In den letzten vier Wochen brachten wir 26 Beiträge zum Thema Impfpflicht, von der Gewissensfrage bis zum Datenschutz, und liefern damit eine sehr breite Grundlage für die Meinungsbildung unserer Leserinnen und Leser, ob eine Impfpflicht verhältnismäßig ist.
Aber auch die Einschränkungen von Sport- und Kulturbetrieb, Hotel- & Gastronomiegewerbe und Einzelhandel betrachten wir aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Die Pandemiebekämpfung auf der einen Seite hat auf der anderen Seite äußerst negative, teilweise irreparable Auswirkungen auf Sportvereine, Kulturschaffende, Hotels & Gastronomie und Innenstädte.
Die Verhältnismäßigkeit hinterfragen wir scharf und kommen dabei zu unterschiedlichsten Schlüssen. Maßnahmen sind aus unserer Sicht teilweise richtig, teilweise zu lax und teilweise unverhältnismäßig scharf. Mit anderen Worten, in manchen Fällen stimmen wir den Beschlüssen von Bund, Ländern und Gemeinden zu, in manchen Fällen sind wir anderer Meinung – übrigens auch häufig anderer Meinung als andere Medien.
Die Sindelfinger Zeitung/Böblinger Zeitung ist ein Familienunternehmen. Seit 1890 unabhängig und überparteilich mit einer starken Tradition für freiheitliche Werte. Es gibt einen klaren Rahmen, in dem wir uns bewegen: den Rahmen des Grundgesetzes und den Rahmen des Pressegesetzes. Über alles Weitere entscheiden wir auf Basis unserer verlegerischen Richtlinie innerhalb der Redaktion selbstständig und unabhängig nach bestem Wissen und Gewissen.
Der Vorwurf der Gleichschaltung ist einer, der uns schwer trifft. Denn in der 132-jährigen Historie unseres Verlags gab es tatsächlich eine Gleichschaltung. 1941 musste die Sindelfinger Zeitung auf Druck der NS-Kreisverwaltung für einige Jahre ihr Erscheinen zugunsten der parteiamtlichen NS-Kreiszeitung aufgeben – die SZ/BZ wurde gleichgeschaltet. Gleichschaltung erinnert an die dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte, zu der die heutige Pressefreiheit und Medienvielfalt glücklicherweise im bestmöglichen Kontrast steht.
Viele Zuschriften nehmen Bezug auf unsere Berichterstattung zu den Montagsspaziergängen. Bei fast jedem Spaziergang in Sindelfingen waren Redakteure unserer Zeitung anwesend, beobachteten und versuchten, mit einzelnen Teilnehmenden ins Gespräch zu kommen. Bislang ohne Erfolg. Ein offizieller Ansprechpartner existiert nicht.
Einige Zuschriften erreichen uns anonym – begründet mit der Angst vor Diffamierung. Die meisten dieser Zuschriften äußern sich kritisch gegenüber unserer Berichterstattung. Es sind zumeist höfliche, eloquente Zuschriften, rechtlich sind sie nicht ansatzweise zu beanstanden. Selbstverständlich hätten wir die Zuschriften wunschgemäß veröffentlicht, wenn sie unter Klarnamen eingegangen wären. In Ausnahmefällen mit der Bezeichnung „Verfasser ist der Redaktion namentlich bekannt“. Wir sind der festen Überzeugung: Dialog kann nur entstehen, wo sich Menschen gegenüberstehen – nicht anonyme Meinungen, wie auf manchen sozialen Plattformen. Wir stehen mit unserem Namen und Gesicht für unsere Berichterstattung, damit übernehmen wir die Verantwortung dafür.
Am heutigen Montag werden unsere Redakteure wieder vor Ort sein und wieder das Gespräch mit Teilnehmenden des Montagsspaziergangs suchen. Wir würden uns freuen, dieses Mal ins Gespräch zu kommen. Das unbestimmte „Dafür“ und das unbestimmte „Dagegen“ stehen sich unvereinbar gegenüber. Im Konkreten aber kann der Dialog beginnen.
Manche von Ihnen stimmen unseren Meinungsbeiträgen zu, manche von Ihnen sind uneinig damit – und das sollen Sie auch gerne sein. Meinungspluralismus ist ein Basiselement der Demokratie. Ein weiteres Basiselement ist jedoch der gesellschaftliche Grundkonsens. Das Teilen von grundsätzlichen Werten – den Werten des Grundgesetzes – und die Überzeugung, dass Dialog immer richtig ist. Auch und gerade, wenn er nicht unserer eigenen Meinung entspricht. Das müssen wir aushalten. Freiheit kann auch anstrengend sein.
Als lokales Medienhaus verstehen wir uns als Plattform der Region. Wir lieben es, hier zu leben, und das heißt: gemeinsam hier zu leben, trotz aller Fehler, die uns als Menschen, als Unternehmen, als Institutionen nun mal anhaften. Unsere Berichterstattung ist das Forum, der Marktplatz unserer Region. In diesem Bewusstsein bauen wir unsere Redaktion weiter aus. Corona dominiert aktuell das Geschehen. Aber nach Corona wird das nächste polarisierende Thema kommen. Wenn dem Dialog bei jedem Streitthema Teilnehmer verloren gehen, stehen wir alle bald ziemlich alleine da.
Unsere Region ist aber so viel mehr als Corona: Wo entsteht Neues, wo wird Altes wieder ins Leben gerufen, welche Schule hat eine spannende Initiative, welche Theaterformation debütiert, welcher Verein hat Grund zu feiern, welche Menschen leiden Not und wie können wir ihnen helfen, welche Ideen hat die lokale Wirtschaft, wie steht es um unsere Natur, unsere Wälder und Landwirtschaft.
Wir schaffen Öffentlichkeit für alle diese Themen. Wir unterstützen Menschen und Vereine, die Gutes für die Region tun. Wir hinterfragen kritisch, wir haken nach. Über uns findet Dialog statt. Das Lokale verbindet uns als Menschen hier vor Ort. Kommen Sie aufeinander und auf uns zu. Bleiben wir im Dialog. Lassen Sie uns das Verbindende nicht verlieren. redaktion@szbz.de