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Über 705 Millionen Euro klingeln in den Kassen der Händler

Kaufkraft: Sindelfingen ist Spitze

Der Landkreis Böblingen schneidet zwar unter den Landkreisen der Region Stuttgart besonders gut ab, wenn es um die Kaufkraft seiner Einwohner geht. Laut IHK-Bezirkskammer dürfe dies jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Situation für stationäre Betriebe und damit auch in den Innenstädten mancherorts bereits drastische Ausmaße annimmt.
Von Konrad Schneider

Kreis Böblingen. „Gute Zahlen auf dem Papier sind das eine, die gegenwärtige Situation für die Händler aber etwas anderes“, so Marion Oker (Bild: z) , Leitende Geschäftsführerin der IHK-Bezirkskammer Böblingen. Das unglückliche Zusammenspiel von Kaufhemmnissen durch die Corona-Pandemie, wachsender Kaufzurückhaltung wegen zunehmender Inflation, zunehmender Unsicherheiten bei der Gas- und Energieversorgung bei den Kunden und die Unberechenbarkeit in der Beschaffung aufgrund gestörter Lieferketten bringe viele Betriebe an den Rand ihres Durchhaltevermögens.

„Finanzielle Polster aufgebraucht“

„Die finanziellen Polster sind bei vielen bereits aufgebraucht, jede Belastung stellt eine echte Gefährdung der Existenz für viele Unternehmen dar“, so Marion Oker. Dies führe zu Betriebsaufgaben und zunehmenden Leerständen, die empfindliche Lücken in den Innenstädten des Landkreises hinterließen – und es drohe noch viel Schlimmeres für die nähere und mittlere Zukunft, wenn sich die pessimistischeren Prognosen bewahrheiteten. Und dennoch: Es gebe viele Regionen in Land und Bund, die diese Bedrohungen noch schneller und stärker spürten. Insgesamt verfügen die Bewohner des Landkreises im Jahr 2022 über etwa 3,2 Milliarden Euro an einzelhandelsrelevanter Kaufkraft, das entspricht einem Siebtel der regionalen beziehungsweise knapp vier Prozent des landesweiten Nachfragepotenzials. Pro Einwohner ergibt das 8070 Euro, womit der Landkreis in der Region Stuttgart auf dem ersten Platz liegt – vor Stuttgart und den Landkreisen Ludwigsburg und Esslingen.

„Die Wirtschaft im Landkreis Böblingen ist erfolgreich und die Einwohner verdienen im Schnitt sehr gut, weshalb sie auch mehr Geld im Einzelhandel ausgeben als in den meisten Kreisen Deutschlands“, führt Oker aus. „Von den über 400 Stadt- und Landkreisen der Republik liegt unser Landkreis bei der Pro-Kopf-Kaufkraft immerhin auf Rang 18; in Baden-Württemberg praktisch gleichauf mit Lörrach und Baden-Baden“, erläutert Oker weiter. Sie gibt aber auch zu bedenken, dass trotzdem auch beim Einzelhandel kein Wildwuchs herrschen dürfe. „Wenn wir unsere Innenstädte weiterhin als lebenswerte, abwechslungsreiche Handels- und Aufenthaltsorte wahrnehmen möchten, dann müssen die Regeln eingehalten werden, die in Regionalplan und Einzelhandelskonzepten für die Ansiedlung vor allem großflächiger Einzelhandelsbetriebe gelten.“

Oker fügt hinzu, dass die Bedrohungen selbst im Landkreis solche Ausmaße angenommen hätten, dass es an vielen Standorten um die die Existenz vieler Handelsbetriebe und damit um Funktionalität der Einzelhandelslagen gehe. „Die IHK wird deshalb mindestens bis Ende 2022 vom Land geförderte Innenstadtberater einsetzen können, um bestimmte Kommunen bei der Bewältigung dieser Herausforderungen zu unterstützen. Alle Akteure müssen gemeinsam die Ärmel hochkrempeln und mit anpacken, damit unsere Innenstädte weiter attraktiv bleiben.“ Im Landkreis konnte in Weil der Stadt dieser Prozess schon durchgeführt werden.

In allen 26 Gemeinden liegt die einzelhandelsrelevante Kaufkraft pro Einwohner über dem Bundesdurchschnitt von 7282 Euro. Ehningen liegt dabei mit 8650 Euro um fast 20 Prozent darüber, Leonberg und Grafenau folgen. Selbst das Schlusslicht Mötzingen liegt mit 7398 Euro über dem Bundeswert.

Die stationären Einzelhändler im Kreis verbuchen insgesamt rund 2,5 Milliarden Euro an Umsatz, pro Einwohner entspricht das mit 6234 Euro etwas mehr als vier Prozent über dem Durchschnitt Deutschlands. In der Region liegt bei diesem Merkmal nur die Landeshauptstadt vor dem Landkreis Böblingen.

Tristesse in Magstadt und Aidlingen

Auf kommunaler Ebene kann sich erneut Sindelfingen den Spitzenplatz sichern. Über 705 Millionen Euro klingeln dort in den Kassen der Händler. Auch bei den Pro-Kopf-Werten liegt Sindelfingen vorn: 10 791 Euro bedeuten 81 Prozent über dem Bundeswert. Es folgen Jettingen mit 10 102 Euro und Böblingen mit 8631 Euro pro Einwohner. Verantwortlich sind dafür großflächige Einzelhandelsbetriebe - allesamt nicht in der Innenstadt, sondern außerhalb in Gewerbegebieten. Sie ziehen Kaufkraft von anderen Gemeinden und den eigenen Innenstädten ab. In vielen Kommunen ist die Versorgung der Bewohner allerdings nicht mehr gesichert; in Magstadt erzielen die örtlichen Händler nicht einmal 2000 Euro pro Kopf an Umsatz.

Wenn man die Umsätze nicht nur ins Verhältnis zur Einwohnerzahl setzt, sondern dabei auch die Kaufkraft der ansässigen Bevölkerung berücksichtigt, ergibt sich die Zentralitätskennziffer. Wie beim Pro-Kopf-Umsatz bleibt Sindelfingen mit einer Kennziffer von 173,2 das Maß aller Dinge im Landkreis, Jettingen folgt mit 162,6 vor Böblingen (128,8). Magstadt und Aidlingen zeigen, dass nur knapp ein Drittel der Kaufkraft ihrer Einwohner im Ort ausgegeben wird, der größere Teil fließt ans Umland.