

Böblingen. Seit mehr als zehn Jahren reist der aus Böblingen stammende Konstantin Flemig in Kriegs- und Konfliktgebiete, um in Kurzreportagen über die Auswirkungen weltweiter Krisen und militärischer Auseinandersetzungen zu berichten.
Sein Arbeitsplatz ist dabei oftmals der Eingang zur Hölle. Er war bei den Taliban in Afghanistan, hat über die Verfolgung Homosexueller in Ost-Afrika berichtet, war mehrmals Syrien und zuletzt in an der Ostfront in der Ukraine in Butcha. „Natürlich ist da auch immer Risiko mit dabei“, sagt er in einer neuen Folge des SZ/BZ-Podcasts „Willi und Dödel“. Hier ein Auszug:
Zur spannenden Podcast-Folge mit Konstantin Flemig geht es hier
Sie sind als Kriegsreporter regelmäßig an den schlimmsten Orten, die man eigentlich nicht aufsuchen sollte, unterwegs. Gerade erst sind sie von der Ostfront in der Ukraine aus Bachmut zurückgekehrt. Welchen Eindruck nehmen Sie davon mit?
Konstantin Flemig: „Das es eine ganz krasse Art von Krieg ist, die ich selbst so noch nicht erlebt habe. Wie im 20. Jahrhundert kämpft eine Armee gegen eine Armee. Man hat gedacht, dass so etwas der Vergangenheit angehört – dass das jetzt wieder so ausgebrochen ist, ist der Wahnsinn.
Zum Youtube-Kanal "Crisis - Hinter der Front" geht's hier.
An der Frontlinie zu sein, wo eine Artillerie auf die andere schießt und umgekehrt, wo man ständig die Knaller hört, ständig darauf achten muss, ob Drohnen in der Luft sind, dass man nicht unter Beschuss gerät, ist krass. Und ich nehme mit, wie die Menschen vor Ort damit umgehen, wie schnell man sich offensichtlich an so eine Bedrohungslage gewöhnt.“
Sie waren direkt an der Front?
Konstantin Flemig: „Ja. Von Kiew aus sind wir nach Osten bis ein paar Kilometer vor Bachmut gereist. Von dort aus sind wir immer wieder in die Stadt und andere umkämpfte Städte gefahren, in denen es große, große Zerstörung gibt und in denen immer noch Menschen leben, nicht alle sind evakuiert worden. Ich war in der Beschusszone.“
Ist das nicht suizidär was Sie da machen?
Konstantin Flemig: „Es gibt da schon noch Abstufungen, aber natürlich ist da auch immer Risiko mit dabei. Je weiter man nach vorne an die Front kommt, umso größer wird es auch. Aber wenn man sich ein paar Kilometer entfernt in einer Stadt aufhält, in der nur ab und zu eine Rakete runterkommt, dann ist es noch einigermaßen kalkulierbar. In Bachmut selber aber, da waren es täglich Hunderte von Granaten – und es wurde auch schlimmer, als wir da waren. Die russische Offensive war da gerade am Anlaufen. Da war es dann wirklich so, dass wir gesagt haben: Die Einschläge kommen näher, wenn man da meint, auch nachts bleiben zu müssen, steigt das Risiko exorbitant."
Letztendlich besteht ein großer Teil unseres Jobs darin, zu schauen, wie hoch ist das Risiko und was ist es wert und was ist es nicht mehr wert. Und da kommt es auf die Erfahrung an, manchmal aufs Bauchgefühl oder aufs Glück, dass man die richtige Entscheidung trifft und nicht den einen Meter zu viel geht.“
Einen weiteren SZ/BZ-Podcast zum Krieg in der Ukraine mit der Schönaicher Bürgermeisterin Anna Walther hören Sie hier.
Als Kriegsreporter waren Sie schon in Afrika, bei den Taliban oder in Syrien im Einsatz. Dort haben Sie im kurdisch kontrollierten Gebiet einen einen gefangenen deutschen IS-Terroristen interviewt. Wie kommt man an so einen Gesprächspartner überhaupt ran?
Konstantin Flemig: „Das hat was mit Netzwerken zu tun. Unser Producer, seit zehn Jahren ein sehr guter Freund von mir, hat familiäre Verbindungen in dem Gebiet, ist sehr gut vernetzt. Man kennt Leute, die jemanden kennen. Und so wurde letztendlich der Kontakt zu den kurdischen Sicherheitskräften hergestellt. Mit ihnen hat man mal zusammen einen Tee zusammen getrunken, erklärt, wer wir sind, was wir machen, was wir machen möchten. Das hat sehr viel mit Vertrauensbildung zu tun und damit, vor Ort zu sein, sein Gesicht zu zeigen. Das Interview mit dem deutschen IS-Terroristen wäre nie zustande gekommen wenn man einfach von einer deutschen Redaktion aus angefragt hätte.“
Und dann sitzen Sie tatsächlich einem deutschen IS-Terroristen gegenüber. In der Anmoderation sagen Sie, dass das eines der bedrückendsten Interviews gewesen ist, dass Sie je geführt haben. Was macht es noch bedrückender als all die anderen?
Konstantin Flemig: „Es ist so, dass ich in meiner bisherigen journalistischen Tätigkeit überwiegend mit den Opfern geredet habe und eher nicht mit den Tätern, weil ich es viel wichtiger finde, dass man deren Geschichte erzählt und wie sie mit ihrer Lage klarkommen.
Ich habe zum Beispiel mit Jesiden gesprochen, die Opfer des Völkermordes des IS geworden sind. Ich kenne die Geschichten, war sehr oft in der Region, war beim Häuserkampf in Mossul dabei, eine vom IS besetzte Stadt. Dann jemandem gegenüber zu sitzen, der aus Deutschland dorthin gezogen ist, um sich Völkermördern anzuschließen, das ist erstmal vom Gedanken her schon etwas befremdlich. Und dann die Art und Weise, wie er erzählt, wie er nichts so Falsches daran sieht. Die Ausstrahlung die damit einher geht im Bewusstsein dessen, was dort gemacht wurde – die Bilder Kopf zu haben was der IS mit Menschen gemacht hat, Menschen bei lebendigem Leibe verbrannt, Menschen in Schlachthäusern aufgehängt und geschächtet. Und dann sitzt dort jemand der sagt, ,war ja auch nur ein Staat, war ja gar nicht so schlimm'. Da stößt man schon an seine Grenzen, wo etwas mit seiner eigenen Vernunft noch zu vereinbaren ist.“
Sie waren auch im ukrainischen Butscha , haben sich dort von den Gräueltaten russischer Soldaten berichten lassen. Wie schaffen sie es, so etwas zu verarbeiten?
Konstantin Flemig: „Während der Interviews versuche ich, den Profi nach vorne zu kehren und nicht das Emotionale. Natürlich würde ich dabei nie die Empathie vergessen. In einer normalen Situation würde man die alte Damen, die ihren Sohn verloren hat umarmen. Ich versuche dann einfach Fragen zu stellen, versuche, es einfach zu verstehen. Solange die Kamera läuft ist man dafür da, zu berichten, man hat diesen Auftrag als Journalist da zu sein, das ist auch die Rechtfertigung, vor Ort sein zu dürfen. Und es ist auch so eine Art Schutzmechanismus, Fragen zu stellen und Antworten zu hören. Vor Ort muss man einfach funktionieren, das Verarbeiten kommt dann später.“