

Sindelfingen. Das Projekt „Vor 80 Jahren - Sindelfingen im Krieg“ stellt monatlich wechselnd ein Thema oder ein Objekt aus der Zeit vor 80 Jahren im Stadtmuseum in den Mittelpunkt und präsentiert dies in einer Vitrine. In Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv entsteht auf diese Weise ein Blick in die Vergangenheit, der u. a. die Alltagssituation der Menschen damals in den Blick nimmt. Die Texte sind auch auf der städtischen Homepage nachzulesen. Die Monatsvitrine zum Thema wird ab Dienstag, 27. August im Stadtmuseum zu sehen sein.
Nach dem Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 durch Claus Schenk Graf von Stauffenberg verstärkte sich der Druck auf die Bevölkerung. Das NS-Regime bemühte sich, Kritik an der Politik durch die Verschärfung strafrechtlicher Maßnahmen zu unterbinden. In der Folge stieg die Zahl der Todesurteile deutlich an. Jegliche Handlungen wurden im Sinne des Kriegsrechts bewertet und konnten im Zweifelsfall als Wehrkraftzersetzung interpretiert werden.Mit dem Führererlass vom 26. Juli 1944 übertrug Hitler umfassende Vollmachten auf Josef Goebbels, der zum „Reichsbevollmächtigten für den totalen Kriegseinsatz“ ernannt wurde. Damit hatte er alle Fäden in der Hand und konnte nach Belieben Verordnungen erlassen, die sich massiv auf das Leben der Menschen auswirkten. Kritik daran war lebensgefährlich.
Sehr schnell wurden erste Anordnungen für das letzte Aufbäumen gegen die drohende militärische Niederlage getroffen. Die Böblinger Kreiszeitung vom 1. August 1944 titelte: „Der Staatsapparat wird nur noch für den Krieg eingesetzt – Mit der Stilllegung ganzer Arbeitsgebiete des öffentlichen Dienstes muss gerechnet werden“. Am 12. August war es dann so weit. Die Sindelfinger Verwaltung wurde über den Landrat mit einem „Appell“ des Gemeindetags bezüglich der Maßnahmen für den „totalen Kriegseinsatz“ konfrontiert. Das Schreiben enthielt den Aufruf zur Vereinfachung des Verwaltungsapparats zur Freisetzung von Kapazitäten für den Kriegseinsatz. „Die deutschen Gemeinden… werden dem Führer zur Erreichung des Sieges in der entscheidungsvollsten Phase des Krieges mit dem letzten Einsatz ihrer Kräfte dienen.“ Dem konnten sich die Bürgermeister nicht entgegenstellen.
Konkret forderte Goebbels zusätzliches Personal für den Kriegsdienst oder die Arbeit im Rüstungsbereich freizustellen. Zudem wurde die Arbeitszeit für alle erhöht. Die Mindestarbeitszeit betrug nun 60 Stunden, notfalls auch am Sonntag. Es sollte so lange gearbeitet werden, bis die „Dienstgeschäfte“ erledigt seien.Bürgermeister Pfitzer versuchte vergeblich, den Abzug weiterer Mitarbeiter zu verhindern. In seiner Antwort vom 29. August wies er darauf hin, dass die Verwaltung bereits in der Vergangenheit „personell äußerste Sparsamkeit [hatte] walten lassen.“ Er betonte die „Lage der Stadt im Gefahrenbereich der Feindfliegertätigkeit und ihre Struktur als Industriegemeinde mit kriegswichtiger Industrie…“ Pfitzer schloss seinen Brief mit einem interessanten Hinweis auf die Notwendigkeit, in der Behördenstruktur an anderer Stelle an Einschränkungen zu denken: „Da in den Gemeindeverwaltungen selbst heute nur das Notwendigste getätigt wird, dürften Vereinfachungen nur von oben her sich auswirken können.“ Diese als kritisch zu bewertende Aussage ist interessant, da wohl auch andere Bürgermeister mit der Umsetzung der Maßnahme große Probleme hatten. Am 15. September beschwerte sich Reichsstatthalter Murr, „daß einzelne Verwaltungen…, die Gelegenheit benutzen wollten, kranke und ungeeignete Kräfte abzuschieben… Alle Dienststellen hätten ihr Soll… bis 1. Oktober 1944 zu erfüllen.“
Wie viele Personen in der Sindelfinger Verwaltung ihren Dienst aufgeben mussten, ist nicht bekannt.Neben der Reduzierung der Kräfte im öffentlichen Dienst wurden zusätzliche Maßnahmen getroffen, um weitere Personenkreise für den Kriegseinsatz in die Pflicht zu nehmen. So wurde das Alter für den Arbeitsdienst der Frauen von 45 auf 50 Jahre angehoben und zudem ältere Männer ab dem Jahrgang 1906 eingezogen. Im September wurde dann als letztes Mittel der „Volkssturm“ mit Männern zwischen 16 und 60 Jahren ausgerufen.