Portugal-Krimi "Lost in Fuseta": „Leander Lost stellt meine Sicht der Dinge immmer wieder in Frage“
Es ist der Auftakt einer Romanreihe um den Hamburger Kriminalkommissar Leander Lost, der im Rahmen eines europäischen Austauschprogramms nach Fuseta bei Faro an der Algarve versetzt wird.
Im September 2022 wurde der Zweiteiler „Lost in Fuseta – Ein Krimi aus Portugal“ mit Jan Krauter in der Titelrolle in der ARD gesendet. Kürzlich erschienen ist mit „Dunkle Verbindungen“ Band 6 der Krimi-Reihe.
Die SZ/BZ hat sich mit Holger Karsten Schmidt, Jahrgang 1965, über das Schreiben, das Krimi-Genre und die Liebe zu Portugal unterhalten.
Sie arbeiten nachts. Ist das Ihr Biorhythmus oder wollen Sie einfach nicht gestört werden?
Holger Karsten Schmidt: „Letzteres. Die Chance, dass Sie nach 17 Uhr von Produzenten oder Redakteuren von der Arbeit abgehalten werden, ist erfahrungsgemäß gering. Deshalb habe ich mir diesen Arbeitsrhythmus angewöhnt. Es nervt, wenn Sie sich gerade in eine Figur hinein gedacht haben und dann durch ständige Telefonanrufe wieder aus dieser Welt herausgerissen werden.“
Aus einer Welt, in der beispielsweise der Hamburger Polizist mit Asperger-Syndrom als Austausch-Kommissar in der portugiesischen Provinz landet. Wie kam es denn zu dieser außergewöhnlichen Kombination?
Holger Karsten Schmidt: „Meine Zuneigung zu Portugal und den Portugiesen ist vor vielen Jahren auf einer Interrail-Reise entstanden. Ich bin eigentlich durch Zufall in Portugal gelandet und habe mich in das Land und in seine gastfreundlichen, herzlichen Bewohner verliebt. Die Ostalgarve ist bis heute der Gegenentwurf zum Massentourismus.“
Inwiefern?
Holger Karsten Schmidt: „Wenn Sie in der Nebensaison in Albufeira an der touristisch erschlossenen Westalgarve sind, kommen Sie fast in eine Geisterstadt. Da ist tote Hose. An der Ostalgarve gibt es dagegen noch sehr viel Ursprüngliches, Unverfälschtes. Das liegt sicher auch an der besonderen Landschaft: Die Ria Formosa riegelt die Küste dort regelrecht ab. Das hat mir damals gut gefallen und das ist bis heute so geblieben.“
Sie transportieren den portugiesischen Alltag, das Land und die Menschen sehr authentisch. Sprechen Sie denn auch so fließend Portugiesisch wie Lander Lost?
Holger Karsten Schmidt: „Ich verfüge leider nicht über Losts fotografisches Gedächtnis, das nie etwas vergisst. Meine Frau und ich lernen aber jetzt endlich Portugiesisch. Es war uns irgendwann doch zu peinlich uns nur mit Englisch durchzuschlagen.“
Leander Lost ist Asperger-Autist . Ist es schwer über Menschen mit Handicap zu schrieben ohne in Fettnäpfchen zu treten oder Klischees zu bedienen?
Holger Karsten Schmidt: „Fettnäpfchen und Klischees lauern überall. Ich versuche ihnen durch gründliche Recherche und Sorgfalt beim Schreiben zu entgehen und hoffe, dass mir das gelingt. Die vielen positiven Rückmeldungen, etwa im Gästebuch auf meiner Homepage, scheinen das zu bestätigen.“
Was gefällt Ihnen selbst an Leander Lost?
Holger Karsten Schmidt: „Dass er mich selbst und meine Sicht der Dinge immer wieder auf den Prüfstand stellt. Seine Unfähigkeit zu lügen oder Ironie zu erkennen sorgt ja immer wieder für Situationen, die für Losts Umgebung lustig sind, aber nicht für ihn selbst.“
Ist das nicht ein schmaler Grat?
Holger Karsten Schmidt: „Ja. Und genau um den geht es. Man darf über Leander lachen, aber ich will diese Figur, die mir sehr ans Herz gewachsen ist, nicht bloß stellen. Ich will zeigen, was manche Situationen in Leander Lost auslösen. Und was Leander wiederum, meistens unbewusst, mit den anderen Mensschen macht.“
Es geht in den Geschichten also um weit mehr als um die Mördersuche?
Holger Karsten Schmidt: „Ich glaube, genau das macht gute Krimis so beliebt bei Lesern und Zuschauern. Es geht immer um die Fallhöhe: Für die Hauptfiguren steht alles auf dem Spiel. Mich interessiert nicht die Kugel, die den Gewehrlauf verlässt, sondern das, was sie aus den Menschen macht. Der letztes Jahr verstorbene, von mir sehr geschätzte Kollege Felix Huby, hat einmal gesagt: 'Der Krimi ist der Gesellschaftsroman des 20. Jahrhunderts.' Das gilt auch fürs 21. Jahrhundert.“
Sie haben zuerst die ersten Lost in Fuseta-Romane geschrieben und dann die Drehbücher. War es nicht schwierig, die Romanhandlung auf 90 Filmminuten zu kürzen?
Holger Karsten Schmidt: „Oh doch. Es ist ja gerade der Reiz am Roman, dass man keine zeitliche Beschränkung hat. Und auch kein begrenztes Budget wie beim Film. Aber ich habe nach rund 80 Drehbücher genügend Routine um den Spagat hinzubekommen - hoffe ich zumindest. Mir war wichtig, das portugiesische Lebensgefühl aus den Romanen im Film zu erhalten. Auch wenn manche Szene, die mir im Roman besonders lieb war, im Film geopfert werden musste.“
Welche zum Beispiel?
Holger Karsten Schmidt: „Es gibt in 'Weiße Fracht' eine Szene, in der Leander Soraia, die Liebe seines Lebens, abweist, ohne es zu bemerken. Im Buch ist das eine Szene, die mich selbst sehr berührt hat. Im Film hatte sie keinen Platz. Das tut mir bis heute weh.“
Roman oder Drehbuch: Wofür würden Sie sich im Zweifel entscheiden?
Holger Karsten Schmidt: „Für den Roman. Da habe ich von Anfang bis Ende die volle Kontrolle. Über die Figuren, die Handlung, das ganze Projekt. Und ein guter Lektor macht den Text am Ende sogar noch besser. Beim Drehbuch müssen Sie im schlechtesten Fall froh sein, wenn Ihnen das Projekt nicht weggenommen wird.“
Das klingt ja nicht gerade so, als sei Drehbuchautor ein Traumjob.
Holger Karsten Schmidt: „Ich will niemanden davon abhalten Drehbücher zu schreiben. Das Medium Film ist toll, keine Frage. Und mit den Streaming-Anbietern hat sich der Markt für gute Drehbuchautoren deutlich vergrößert, es herrscht immer Bedarf an guten Geschichten. Und zum Glück gibt es ja auch viele Beispiele, in denen die Zusammenarbeit bei den Produktionen hervorragend klappt. Wenn die richtigen Menschen am Tisch sitzen und alle ihr Ego zurückstellen für das Projekt, dann wird es was.“
Sie haben rund 80 Drehbücher geschrieben, dazu die Romane. Haben Sie keine Angst, dass Ihnen die Ideen ausgehen?
Holger Karsten Schmidt: „Nein, ich habe so viele Ideen, dass dazu ein Leben nicht reicht. Es geht vielmehr darum zu priorisieren. Früher hatte ich im Jahr zwei freie Tage: Weihnachten und der Geburtstag meiner Frau. So kann und will ich nicht mehr arbeiten. Je älter ich werde, desto mehr versuche ich, nur noch das zu machen, was mich wirklich interessiert. Es ist nun mal alles endlich.“
Also auch die „Lost in Fuseta “-Reihe?
Holger Karsten Schmidt: „Ich denke nie weiter, als bis zum nächsten Buch. Und wenn der Lost irgendwann auserzählt ist, dann ist das eben so. Aber bis dahin werden wir schon noch ein wenig miteinander zu tun haben.“
Buch Kürzlich erschienen ist Band 6 der erfolgreichen Reihe „Lost in Fuseta“: Es hätte ein ereignisreicher, aber friedlicher September werden sollen für Leander Lost und Soraia: erst der Umzug in ein neues Haus, dann ihre Hochzeit. Doch die Nachsaison bringt keine Ruhe nach Fuseta. In einem Golfteich wird eine tote Frau gefunden. Kurz darauf kommt es zu einem brutalen Überfall auf einen Geldtransporter, der dunkle Erinnerungen weckt an einen alten ungelösten Fall. Gil Ribeiro : Dunkle Verbindungen. Lost in Fuseta . Ein Portugal-Krimi. Verlag _KiWi._ISBN 978-3-462-00407-6
Zur Person Gil Ribeiro, geboren 1965 in Hamburg, landete 1988 während einer Interrail-Reise durch Zufall an der Algarve und verliebte sich umgehend in die Herzlichkeit und Gastfreundschaft der Portugiesen. Seitdem zieht es ihn immer wieder in das kleine Städtchen Fuseta an der Ost-Algarve, wo ihm die Idee zu „Lost in Fuseta“ kam. In seinem deutschen Leben ist Gil Ribeiro alias Holger Karsten Schmidt seit vielen Jahren einer der erfolgreichsten Drehbuchautoren Deutschlands. Anfang 2020 erschien bei Kiepenheuer & Witsch sein Kriminalroman „Die Toten von Marnow“, der im Frühjahr 2021 als gleichnamige Mini-Serie in der ARD für Furore gesorgt hat. Holger Karsten Schmidt lebt und arbeitet im Kreis Ludwigsburg.
Mehr über ihn gibt es unter www.holger-karsten-schmidt.de