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Lesung

Sindelfingen: „Bei Rassismus niemals schweigen“

Erfolgsautor Hasnain Kazim liest und erzählt am Sindelfinger Stiftsgymnasium. Tausende Hassmails und Todesdrohungen.

Von Bernd Heiden
Der Journalist und Bestellerautor Hasnain Kazim bei seiener Autorenlesung am Sindelfinger Stiftsgymnasium.

Der Journalist und Bestellerautor Hasnain Kazim bei seiener Autorenlesung am Sindelfinger Stiftsgymnasium.

Bild: Heiden

Sindelfingen. 1992 ist er 17 Jahre alt und besucht das Gymnasium in Stade bei Hamburg. Zwei Jahre nach der Wiedervereinigung bekommt er mit, wie damals in Rostock-Lichtenhagen Pogrom-Zustände herrschen. Randalierer werfen Brandsätze auf eine Asylunterkunft und ein Wohnheim, in dem ehemalige vietnamesische Vertragsarbeiter leben. Tausende stehen dabei und applaudieren. Ein Politiker sagt in eine Kamera, er warne vor einer „Überfremdung“ Deutschlands.

Diese Schlüsselszene seines Lebens und seiner Karriere ruft der preisgekrönte Journalist und Autor Hasnain Kazim bei seiner Autorenlesung im Stiftsgymnasium in Erinnerung. Denn diese Politäußerung treibt ihn zu seinem ersten Kommentar, der in einer überregionalen Zeitung gedruckt wird.

Zuwanderung bringt Herausforderungen

Keine Frage, Zuwanderung bringt Herausforderungen mit sich, argumentiert Kazim, geboren in Oldenburg, aufgewachsen und 1992 noch lebend im Dorf Hollern-Twielenfleth. Aber das sagt man als Politiker doch nicht in der Situation, entsetzt er sich. Er erwartet 1992 dagegen einen schlichten Appell, den man angesichts der Übergriffe von jedem anständigen Menschen erwartet: „Wir werfen keine Brandsätze!“

Als Reaktionen auf diesen ersten Zeitungskommentar finden die ersten sieben an ihn adressierten Hassbriefe den Weg in den Briefkasten seiner Eltern. „Geh zurück wo du herkommst“ oder „Als Ausländer hast du nicht das Maul aufzureißen“ steht darin. Der 17-Jährige schweigt zunächst, fürchtet aber insgeheim um sein Leben. Schließlich vertraut er sich seiner Französisch-Lehrerin an und fragt um Rat. Die schärft ihm ein: „Lass dich niemals von diesen Leuten einschüchtern. Das ist das, was die wollen!“.

Tausende Hassmails

Hier beginnt sein Weg, erzählt Hasnain Kazim. Der führt ihn als Journalist bis nach Pakistan und die Türkei. Seine Artikel erscheinen in Medien mit größter Reichweite. Und aus den sieben Hassbriefen sind irgendwann tausende Hassmails geworden. 2018 veröffentlicht er ein Buch, in dem gut 50 Korrespondenz-Dialoge mit seinen Kritikern abgedruckt sind. „Post von Karlheinz“ wird ein Millionenseller. „Mir ist das Unmögliche gelungen“, sagt Hasnain Kazim: „Aus Schei... Gold zu machen.“

Die Kostproben aus dem Karlheinz-Buch – eine Köstlichkeit nach der anderen. Ausgangspunkt der Leserreaktionen sind stets zwei Muster: „Sie als Ausländer...“ oder „Sie als Moslem...“. Dabei ist der gebürtige Niedersachse Kazim als evangelischer Christ aufgewachsen. Als der den Buchtitel gebende Karlheinz aus der Pfalz ihn unter Angabe seiner genauen Adresse nun am 29. November 2016 auffordert, mal vorbeizukommen, um einen „echten Deutschen“ kennenzulernen, schreibt Kazim wenige Stunden später zurück. Er bedankt sich für die Einladung und kündigt sein Kommen in zwei Reisebussen mit seiner gerade in der Nähe weilenden Großfamilie inklusive seiner drei Ehefrauen, acht eigenen Kindern, 34 Cousins und Cousinen und 22 ihrer Kinder und drei Ziegen zum Schächten für den anstehenden 1. Adventssonntag an. Die Online-Korrespondenz geht in kurzer Folge hin und her, Karlheinz zieht zwei Tage nach seinem Einladungsschreiben die Einladung zurück mit der Begründung, am 1. Advent abwesend zu sein. Egal, er komme dennoch, schreibt final Kazim und bittet darum, einen Wasserschlauch bereitzuhalten zur Reinigung des Grüns vom Blut der geschächteten Ziegen.

„Worten folgen Taten“

Klingt nach Spaß pur. Aber der Autor, der bereits viele Morddrohungen erhalten hat, macht klar: Das sind zwar alles nur Worte. Aber damit ist die Sache todernst. „Worten folgen Taten“, erinnert er auch an die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke 2019, vier Jahre nachdem ein Youtube-Video aufgetaucht war. Das zeigte Lübcke auf einer Versammlung, wo er die Flüchtlingsunterbringung verteidigt und dann niedergebrüllt wird für seine Aussage: Es stehe jedem Deutschen frei, Deutschland zu verlassen, wenn er mit den Werten dieses Landes nicht einverstanden sei.

Hasnain Kazim erhält Ende 2019 um die tausend Morddrohungen, als er in einem Kommentar nach der skandalumwitterten Thüringer Landtagswahl AfD-Unterstützer kritisiert mit dem Hinweis, wer Extremisten wähle, schade sich letztlich selbst. Er und seine Familie werden unter Polizeischutz gestellt. Nach Recherchen bei Sicherheitsbehörden erhält er Gewissheit, dass sein Name auf verschiedenen Todeslisten Rechtsextremer steht.

Seit Jahren in Wien

Mit seiner Familie lebt er seit einigen Jahren in Wien. Aber anders als in Deutschland gibt es in ganz Österreich keine Stadt, die er aus persönlichen Sicherheitserwägungen wegen seiner Hautfarbe als „No-Go“ ansehe, antwortet er auf die Frage eines Schülers nach dem Unterschied der rechten österreichischen FPÖ und der AfD. Im Gegensatz zur AfD müsse sich die FPÖ nicht profilieren, erklärt Kazim. Und möglicherweise liegt sein besseres Sicherheitsgefühl in Österreich auch daran, dass es dort mit der FPÖ seit Jahrzehnten ein politisches Ventil gibt. „Ich mag‘s nicht glauben. Denn dann müsste ich sagen, wir brauchen dauerhaft eine AfD“, gesteht Kazim.

Nachdem er weiß, dass sein Name auf Todeslisten steht, hat er nun ein Problem. „Ich weiß nicht, wie ich aus dieser Nummer wieder rauskommen soll, außer dass ich mich komplett aus der Öffentlichkeit zurückziehe“, sagt der Autor. Doch dann denkt er an seine Französisch-Lehrerin. Hasnain Kazim: „Niemals werde ich meinen Mund halten.“

Info: Die Autorenlesung mit Hasnain Kazim, nach zwei Jahren zum 2. Mal am Stiftsgymnasium, fädelten Gemeinschaftskundelehrer Deniz Tekin und Schulsozialarbeiterin Michelle Fischer ein. Den Abend moderierten die Schülerinnen Vanessa Schaab und Michaela Sichlidou. Finanziert wurde die Veranstaltung vom Verein „Landkreis Böblingen bleibt bunt“, der auch hinter den internationalen Wochen gegen Rassismus im Kreis steht. Das Stiftsgymnasium sammelte bei der Veranstaltung über den Kuchenverkauf Spenden für die Erdbebenopfer in dem türkischen Dorf Pinarbasi.