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Horst Keinath und Familie Ullmann

Sindelfinger Opfer des NS-Terrors

Von Horst Zecha*
Von Langzeitprojekt „Vor 80 Jahren – Sindelfingen im Krieg“ des Stadtmuseums

Sindelfingen. Das Stadtmuseum Sindelfingen befasst sich von September 2019 bis Mai 2025 unter dem Titel „Vor 80 Jahren – Sindelfingen im Krieg“ mit der Zeit des Zweiten Weltkriegs und wie sich damals die Situation für die Menschen vor Ort darstellte. Dazu wird monatlich ein Objekt oder Thema in den Mittelpunkt gestellt, das vor 80 Jahren relevant war und auf das analog im Stadtmuseum Bezug genommen wird.

So entsteht eine Reihe mit 69 Beiträgen, die monatliche Blitzlichter auf die Zeit von September 1939 bis Mai 1945 wirft und das damalige Geschehen auf lokaler Ebene lebendig werden lässt. Die Objektauswahl erfolgt anhand der Sammlungsbestände von Archiv und Museum.

Darüber hinaus werden auch Erinnerungsorte einbezogen und, begleitend zum Projekt, Gespräche mit Zeitzeugen geführt und aufgezeichnet. Das Thema im Monat April 2022 lautet „Sindelfinger Opfer des NS-Terrors“. Im April 1942 starb Karl Keinath im KZ, und die jüdische Familie Ullmann wurde deportiert. Die zugehörige Vitrine im Sindelfinger Stadtmuseum ist ab dem 14. April 2022 dem Publikum zugänglich. Die Texte sind auch auf der städtischen Homepage nachzulesen.

Eine Gedenktafel am Rathaus

Eine Gedenktafel am Rathaus erinnert heute an die Sindelfinger Opfer des nationalsozialistischen Terrors. Vermerkt sind dort unter anderem die Namen von Karl Keinath und die der Mitglieder der jüdischen Familie Ullmann. Die Schicksale dieser Menschen trafen im April 1942 zusammen.

Karl Keinath wurde 1895 in Häg bei Schopfheim geboren und kam 1924 nach Sindelfingen, wo er bei der Firma Daimler-Benz als Lackierer arbeitete. Er schloss sich der Kommunistischen Partei an und kandidierte auf der Liste der KPD 1931 für den Gemeinderat. Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung im Januar 1933 und dem bald darauffolgenden Verbot der KPD ist Karl Keinath nicht mehr öffentlich in Erscheinung getreten, hat aber möglicherweise im Untergrund weitergearbeitet.

1935 kam es zu einem folgenschweren Treffen ehemaliger Sindelfinger KPD-Mitglieder, an dem unter anderem auch Karl Keinath und Wilhelm Brendle teilnahmen, über dessen Schicksal im Januar 2020 bereits berichtet wurde. Das Treffen wurde an die Gestapo verraten. Am 6. Juni wurde Karl Keinath verhaftet und wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu sechs Jahren Haft verurteilt. Auch seine Frau Emma wurde einige Monate inhaftiert, die Kinder kamen ins Erziehungsheim. Nach Verbüßung der Haftstrafe wurde Keinath ohne weiteres Verfahren bis Anfang September 1941 im KZ Welzheim festgehalten, danach wurde er ins KZ Flossenbürg nahe der tschechischen Grenze verbracht. Dort ist er unter nicht näher geklärten Umständen am 18. April 1942 gestorben.

Zunehmende Repressalien

Über die zunehmenden Repressalien gegen die jüdische Familie Ullmann bis hin zur wirtschaftlichen Vernichtung wurde bereits in einem Artikel im Juli 2021 berichtet. Die Familie betrieb seit 1923 in Sindelfingen eine Viehhandlung und hatte ihr Wohn- und Stallgebäude in der Oberen Vorstadt 1, wo heute das Domo steht. Heute erinnert ein von der Schülerarbeitsgruppe am Goldberg-Gymnasium initiiertes Denkmal vor dem Domo an das Schicksal der Familie. Nachdem ein Teil der Familie 1935 nach Stuttgart verzogen war, verblieben in Stuttgart noch Siegmund, Bella, Irene und Emil Ullmann. Nach immer weiteren wirtschaftlichen Einschränkungen mussten die Ullmanns die Viehhandlung und Emil Ullmann seine Schneiderei 1938 aufgeben.

Im Dezember 1941 wurden die Stuttgarter Familienmitglieder Siegfried und Lily Ullmann mit einem Sammeltransport vom Killesberg aus Richtung Riga deportiert, wo sich ihre Spur verliert. Dass sie offensichtlich genau wussten, welches Schicksal sie erwartete, geht aus den nach dem Krieg erstellten Entschädigungsakten hervor, in denen es heißt: „Die Eltern [Siegfried und Lily Ullmann] des Antragstellers waren mit der erwähnten Frau Mantel (…) befreundet und ersuchten diese vor ihrem Abtransport, falls sie sich nicht bis 6 Monate nach Kriegsende bei ihr melden würden, sie als nicht mehr am Leben zu betrachten und ihre Kinder Helmut und Edith in England bzw. Amerika zu verständigen.“

Die in Sindelfingen verbliebenen Mitglieder der Familie wurden am 28. April 1942 ebenfalls von Stuttgart aus nach Izbica/Polen deportiert, auch ihr genauer Todesort ist unbekannt. Vermutlich wurden sie im benachbarten Vernichtungslager Majdanek ermordet.

Überlebt haben lediglich Helmut und Irene Ullmann, die von ihren Eltern Mitte der dreißiger Jahre noch in die USA in Sicherheit gebracht werden konnten. Helmut hat bis kurz vor seinem Tod 2007 den Kontakt zu Sindelfingen gepflegt und war immer ein versöhnlicher Gesprächspartner. „Ich kann vergeben, aber nicht vergessen“, hat er immer wieder gesagt.

(*Horst Zecha ist Kulturamtsleiter der Stadt Sindelfingen und hat davor lange Jahre das Stadtarchiv geleitet.)