

Kreis Böblingen. Fast die Hälfte der Menschen im Land fürchten, dass die Region Stuttgart ein zweites Detroit werden könnte. Dies wird aus dem „BaWü-Check“ ersichtlich (die SZ/BZ berichtete). Die Krise in der Automobil- und Zulieferindustrie ist auch im Kreis Böblingen allgegenwärtig. Darüber sprach die SZ/BZ mit Liane Papaioannou, Geschäftsführerin und Erste Bevollmächtigte der IG Metall Stuttgart.
Wie bewertet die IG Metall den aktuellen Stand der Transformation in der deutschen Automobilindustrie – sind die Unternehmen aus Ihrer Sicht ausreichend auf die Zukunft vorbereitet?
Liane Papaioannou: „Die Transformation ist in vollem Gange, gerade in Baden-Württemberg. Viele Betriebe haben Strategien angekündigt, aber die Umsetzung bleibt oft zögerlich. Zu viel Kostendruck, zu wenig Zukunftsplanung und -produkte. Die Flexibilisierung beim Verbrenner war ein richtiger Schritt der Bundesregierung – sie verschafft Luft, um Beschäftigung und Innovation zu verbinden. Dennoch ist für die IG Metall klar, dass auch zukünftig in die E-Mobilität investiert werden muss. Es braucht jetzt eine aktive Industriepolitik mit klarer Local-Content-Strategie: Wertschöpfung, Forschung und Produktion müssen hier vor Ort bleiben.“
Welche industriepolitischen Entscheidungen der Bundesregierung sind jetzt am dringendsten, um Arbeitsplätze in der Automobilbranche zu sichern?
Liane Papaioannou: „Es braucht eine nationale Transformationsstrategie, die Investitionen, Qualifizierung und Standortsicherung verknüpft. Die IG Metall fordert verbindliche Local-Content-Quoten, um sicherzustellen, dass neue Technologien nicht importiert, sondern in Deutschland produziert werden – mit guten, tariflich abgesicherten Arbeitsplätzen.“
Gibt es aus Sicht der IG Metall genug staatliche Unterstützung für Qualifizierungsprogramme – und falls nicht: Was fehlt?
Liane Papaioannou: „Gute Ansätze gibt es, aber sie greifen zu kurz. Viele Programme sind zu bürokratisch oder zeitlich begrenzt. Wir brauchen eine dauerhafte, flächendeckende Qualifizierungsstrategie – gerade für kleine und mittlere Zulieferer, die ohne Unterstützung abgehängt werden könnten.“
Viele Zulieferer stehen unter enormem Kostendruck. Welche politischen oder tariflichen Instrumente könnten helfen?
Liane Papaioannou: „Politisch braucht es gezielte Innovationsförderung, faire Energiepreise und regionale Transformationsfonds. Tariflich setzen wir auf Transformationsvereinbarungen, Qualifizierungsrechte und Standortzusagen. Nur wenn Wertschöpfung hier bleibt, bleibt auch Beschäftigung sicher.“
Wie reagiert die IG Metall auf Versuche einzelner Unternehmen, Standorte oder Tarifverträge im Namen der Transformation aufzuweichen?
Liane Papaioannou: „Das akzeptieren wir nicht. Transformation darf kein Vorwand sein, soziale Standards oder Tarifbindungen zu reduzieren. Wandel braucht Sicherheit – keine Tarifflucht.“
Wie bewertet die IG Metall die Diskussion um Technologieoffenheit?
Liane Papaioannou: „Technologieoffenheit ist richtig, wenn sie Beschäftigung sichert und Innovation fördert. E-Fuels, Wasserstoff und Batterietechnologien dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Wichtig ist: Die Produktion sowie Forschung und Entwicklung müssen in Deutschland stattfinden – im Sinne einer starken industriellen Basis und unserer Local-Content-Strategie.“
Welche Erwartungen hat die IG Metall an Unternehmen hinsichtlich fairer Arbeitsbedingungen während des Transformationsprozesses?
Liane Papaioannou: „Faire Bedingungen heißen: tariflich gesicherte Arbeitsplätze, echte Mitbestimmung und Weiterbildung als Selbstverständlichkeit. Wer den Wandel ernsthaft gestalten will, muss die Beschäftigten aktiv beteiligen und in Zukunftstechnologien hier vor Ort investieren.“
Wie kann der Wandel sozialverträglich gestaltet werden, ohne den wirtschaftlichen Erfolg zu gefährden?
Liane Papaioannou: „Soziale Verantwortung und wirtschaftlicher Erfolg gehören zusammen. Wer in Qualifizierung und Innovation investiert, sichert Zukunft und den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die Transformation wird nur gelingen, wenn sie ökologisch und sozial gerecht gestaltet wird – mit einer starken industriellen Basis in Baden-Württemberg und daraus resultierend zukunftssicheren Arbeitsplätzen.“



