Zusammengetrieben wie Vieh
Morgens um 5 Uhr kam die Polizei, um die „zigeunerischen Personen“ zu verhaften. Sie wurden von Zuhause oder aus den Betrieben geholt und am Rathaus versammelt. Von dort wurden sie dann über die Maichinger Straße zum Bahnhof getrieben. So schilderte der Historiker Dr. Stephan M. Janker die Vorgänge an jenem 15. März 1943 in Magstadt.
Mit dem Zug wurden 26 Magstadter Sinti an diesem Tag über Böblingen zur Sammelstelle nach Stuttgart gebracht, 8 aus Weil im Schönbuch. Am späten Abend verließ der erste Deportationszug mit 211 Sinti aus Württemberg und 22 aus Baden den Stuttgarter Nordbahnhof in Richtung Auschwitz-Birkenau.
Sie waren eingepfercht in Viehwaggons, 60 bis 70 Personen pro Wagen. 4 Tage lang. Die Notdurft habe man in Eimern erledigt. Zu Essen habe es nichts gegeben, nur Tee vom Roten Kreuz. Bei den März-Deportationen wurden 456 Sinti aus 52 Städten und Gemeinden in Baden-Württemberg nach Birkenau geschafft.
Was sich am 16. März 1943 in Sindelfingen abspielte, das stellte Kulturamtsleiter Horst Zecha in seiner Zeit als Stadtarchivar zusammen. Er zitierte dabei den Zeitzeugen Gerhard Gaiser: „Wir hatten gerade Pause in der Gartenstraßenschule, als wir gesehen haben, wie die armen Leute von Polizisten durch die Böblinger Straße abgeführt wurden.“
„Die armen Leute“, das waren 19 Personen der Sindelfinger Sinti-Großfamilie Reinhardt. Für die meisten Familienmitglieder endete der Weg in Auschwitz-Birkenau oder in anderen Todeslagern. Von den insgesamt 26 Familienangehörigen, die sich damals in Sindelfingen aufhielten, haben nur sechs die NS-Zeit mit Sicherheit überlebt. Von den vier in Magstadt lebenden Sinti-Familien mit insgesamt 60 Angehörigen kamen nur neun ins Dorf zurück.
Von den 54 Sinti aus dem Kreis Böblingen, die am 15. und 16. März 1943 abgeholt wurden, überlebten nur 10. Unter den 9 Magstadtern war auch Anton Lauster. Er traf im Stuttgarter Bahnhof den Weil im Schönbucher Franz Winter. Die beiden wurden schnell Freunde und durchlitten die schlimme Zeit gemeinsam, bis Winter in Auschwitz-Birkenau getötet wurde.
Anton Lauster wurde – wie der frühere Kreisarchivar Fritz Heimberger in der wissenschaftlichen Ausgabe des Magstadter Heimatbuches berichtet – weiter nach Buchenwald und Nordhausen verlegt und schließlich im Mai 1945 zusammen mit Verwandten von den Engländern im KZ Bergen-Belsen befreit.
Als bundesweit erste Kommune hat die Gemeinde Weil im Schönbuch am 21. März 1993 eine Gedenktafel für die im KZ getöteten Sinti enthüllt. Die Tafel befindet sich an der dem Marktplatz zugewandten Außenwand der evangelischen Kirche.
Initiatoren waren die Geburtsjahrgänge 1926/27. Einer der in Auschwitz getöteten war ein Klassenkamerad. Die Tafel entstand in Zusammenarbeit mit dem Verband Deutscher Sinti und Roma. Nachdem fast zwei Jahre im Ort über das richtige Gedenken diskutiert worden war, stimmte der Gemeinderat der Tafel zu.
Die im Juli 1996 am Sindelfinger Rathaus angebrachte Gedenktafel erinnert an die namentlich bekannten 27 Sindelfinger Juden, Sinti, Kommunisten, Zeugen Jehovas und Behinderten, die während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ermordet wurden.
In Magstadt wurde vor wenigen Wochen nach fast siebenjähriger Diskussion – in der es vor allem um den Standort ging – die Schaffung eines Denkmals für die ermordeten Sinti ausgeschrieben. Es soll im Zuge der Neugestaltung der Ortsmitte neben dem Rathaus aufgestellt werden.
Andere Magstadter Opfer der Nazi-Zeit, wie der damals als asozial bezeichnete Schuhmacher Karl Landenberger, der am 3. März 1941 im KZ Sachsenhausen zu Tode kam, bleiben da bisher unberücksichtigt.
Gedenktafel für alle Opfer der Nazis im Eingangsbereich des Sindelfinger Rathauses. Bild: Reichert
Gedenktafel für die in Auschwitz ermordeten Sinti in Weil im Schönbuch. Bild: Reichert
Blick in eine der Bracken im Lager Auschwitz-Birkenau. Bild: Danheller/Adobe Stock