Menü
Mutmaßlicher Täter macht keine Aussage

Nach Schüssen im Mercedes-Werk: Kripo ermittelt mit 17 Spezialisten

Die rund 1500 Mitarbeiter der Sindelfinger Montagefabrik blieben am Freitag zuhause. Der mutmaßliche Täter hat keinen Waffenschein und machte keine Aussagen. Die Kriminalpolizei richtete die Ermittlungsgruppe „Halle“ ein.
Von Jürgen Wegner

Sindelfingen. Die Maschinen stehen still, die Arbeiter bleiben zu Hause. Nach den tödlichen Pistolen-Schüssen im Mercedes-Werk am Donnerstag gegen 7.44 Uhr ruht die Arbeit in der Factory 56 auch an diesem Freitag. Ein 53-jähriger türkischer Staatsangehöriger hatte mutmaßlich zwei 44-jährige Männer getötet. Alle drei arbeiteten für den externen Logistik-Dienstleister Rhenus. (die SZ/BZ berichtete). Minuten nach der Tat setzte der Werkschutz den mutmaßlichen Täter fest, dann verhaftete ihn die Polizei. Der Mann besitzt keinen Waffenschein und machte nach seiner Festnahmen vor dem Haftrichter keine Aussage. Die Staatsanwaltschaft erließ einen Haftbefehl wegen Totschlags in zwei Fälle.

Wir wollen unsere Leute entlasten

Die Bänder in der Produktionshalle stehen zunächst still. „Wir wollen unsere Leute entlasten“, sagt eine Unternehmenssprecherin. Das sei „die Hauptmotivation dafür gewesen, den Betrieb in der Factory 56 in dieser Woche zu stoppen. Direkt nach den Schüssen wurde die Halle am Donnerstagmorgen geräumt. Dann bekam die Spätschicht die Nachricht, dass auch sie nicht zur Arbeit erscheinen soll. Am frühen Donnerstagabend bekamen Mitarbeiter Bescheid, dass die Factory 56 erst mit der Frühschicht am Montag wieder anläuft. Hier fertigen rund 1500 Kollegen und Kolleginnen unter anderem neben dem EQS alle Varianten der Mercedes-Benz S-Klasse inklusive Hybrid und Mercedes-Maybach S-Klasse.

Kränze und Schweigeminute

Am Donnerstagnachmittag wurden am Standort Kränze zum Gedenken an die Opfer niedergelegt und ein Ort der Anteilnahme geschaffen. Dazu bietet das Werk seit Donnerstag Notfallseelsorge für die psychosoziale Nachsorge von Kolleginnen und Kollegen an. Die Werksärzte stehen zudem als Ansprechpartner zur Verfügung – sowie auch der Betriebsrat, die Sozialberatungen und selbstverständlich die Führungskräfte der betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Am kommenden Montag wird es eine Schweigeminute im Werk Sindelfingen geben. Mitarbeitende anderer Standorte sind dazu eingeladen, zu diesem Zeitpunkt ebenfalls innezuhalten. Für die Kolleginnen und Kollegen der betroffenen Halle wird es darüber hinaus am Montagmorgen und -nachmittag jeweils vor Produktionsbeginn eine eigene Gedenk- und Informationsveranstaltung geben. Außerdem informiert die Werkleitung alle Kolleginnen und Kollegen kontinuierlich zu wesentlichen Entwicklungen über verschiedene interne Kanäle.

Produktion wird nachgeholt

Die Stückzahlen der Autos, die aus dieser Fabrikhalle vom Band laufen, benennt der Konzern nicht. Die jetzt ausgefallene Produktion soll aber in den kommenden Monaten wieder aufgeholt werden. Die wegfallenden Stunden sollen „über Arbeitszeitinstrumente ausgeglichen werden“, so eine Unternehmenssprecherin.

Hier geht es zum Artikel "So läuft der Einsatz nach den tödlichen Schüssen im Mercedes-Werk" vom 11. Mai Hier geht es zum Artikel "53-Jähriger erschießt zwei Menschen in der Factory 56"

Derweil läuft der Betrieb außerhalb der Factory 56, die als die modernste Montagefabrik der Welt gilt, auf dem weiteren Werksgelände weiter. Wie in der Stadt und darüber hinaus bleiben die Schüsse das dominierende Thema. Es gibt reichlich Spekulationen zu Tatmotiven und auch Diskussionen über das Thema Sicherheit. „Wir überprüfen kontinuierlich unser Sicherheitskonzept für unsere Standorte. Wir werden den Vorfall umfassend analysieren und bei Bedarf entsprechende Maßnahmen ableiten“, sagt die Unternehmenssprecherin. Einen Zeitplan gebe es dafür nicht.

Ebenso habe es derzeit noch keine Anweisung an den Werkschutz gegeben, die Kontrollen zu verschärfen. Dagegen spreche abseits aller Analysen die reine Dimension des Sindelfinger Werks mit seinen 35 000 Angestellten, die auf einer Fläche von 300 Hektar zur Arbeit gehen. Trotzdem könne man das subjektive Empfinden nachvollziehen, dass am Tag nach der Tat mehr Werkschutz als sonst vor Ort ist und dieser auch genauer hinschaut.

"Beteiligen uns nicht an Spekulationen"

Zur Tat selbst und den Beteiligten äußert sich Mercedes-Benz nicht: „Wir stehen im engen Austausch mit den Behörden und unterstützen deren Ermittlungen vollumfänglich. Aufgrund laufender Ermittlungen äußern wir uns nicht zum Tathergang und zu möglichen Motiven. Wir werden uns auch nicht an Spekulationen dazu beteiligen“, heißt es. Derweil hat die Kriminalpolizei des Polizeipräsidiums Ludwigsburg eine 17-köpfige Ermittlungsgruppe mit Namen „Halle“ eingerichtet. Die Staatsanwaltschaft erließ einen Haftbefehl wegen Totschlags in zwei Fällen gegen den 53-jährigen türkischen Staatsangehörigen und weist den Tatverdächtigen in eine Justizvollzugsanstalt ein.

Große Anteilnahme

Derweil ist die Anteilnahme in Sindelfingen und darüber hinaus hoch. Sowohl Sindelfingens Oberbürgermeister Dr. Bernd Vöhringer, als auch sein Böblinger Amtskollege Dr. Stefan Belz und auch Landrat Roland Bernhard drückten ihr Mitgefühl für die Belegschaft und die Hinterbliebenen aus. Die Fußballer des VfL Sindelfingen schreiben in den sozialen Medien: „Als Sindelfinger sind wir geschockt und denken geschlossen an alle Betroffenen und Angehörige.“ Der Böblinger CDU-Bundestagsabgeordnete Marc Biadacz twitterte: „Meine Gebete und Gedanken sind bei den Opfern dieser furchtbaren Tat.“ Sein FDP-Kollege Florian Toncar schrieb: „Dem Sicherheitsdienst und der Polizei sowie allen anderen Helfern und Einsatzkräften gebührt unser aller Dank für das, was sie geleistet haben.“ Umweltministern Thekla Walker, die aus dem Kreis Böblingen in den Landtag gewählt wurde hofft außerdem, „dass die Ermittlungsbehörden schnell die Hintergründe klären – und auch, wie der Täter an die Tatwaffe gelangt ist.“ „Es darf nicht sein, dass Menschen mit Angst zur Arbeit gehen. Deshalb müssen die Umstände des Vorfalls schnellstmöglich aufgeklärt werden, Konsequenzen müssen folgen“, fordert die stellvertretende SPD-Landesvorsitzende Jasmina Hostert. Auch die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion „Ditib“ mit der Moschee am Hirnach beim Goldberg sprach ihr Beileid aus und forderte: „Lasst uns nicht unnötigen Fake News in sozialen Medien vertrauen. Unser Schmerz ist neu und frisch. Lasst uns keine unnötigen Posts machen.“ Der Text steht so auf der Ditib-Facebookseite und war Bestandteil des Freitagsgebets.