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Der Aidlinger Verein „Pro Haiti“ hilft seit 30 Jahren vor Ort und will auch bei dieser erneuten Naturkatastrophe schnelle Hilfe leisten

Nach schwerem Erdbeben in Haiti: Es fehlt an allem

Von Rebekka Groß

Aidlingen/Haiti - Es sind Bilder, die schockieren. Nach einem schweren Erdbeben in Haiti am Wochenende liegen Häuser in Trümmern, Krankenstationen sind hoffnungslos überlaufen, Menschen stehen ohne Dach über dem Kopf da. Es fehlt an medizinischer Versorgung, Nahrungsmitteln und Trinkwasser. Für die Menschen des Karibikstaats, der zu einem der ärmsten Länder weltweit zählt, sind Katastrophen traurige Normalität. 2010 wird die dicht besiedelte Region um die Hauptstadt Port-au-Prince von einen schweren Erdbeben getroffen. Über 200 000 Menschen sterben. Nur sechs Jahre später trifft die Haitianer der Wirbelsturm Matthew, der erneut Menschenleben fordert und weitere Zerstörung mit sich bringt.

Jetzt, nur fünf Jahre später, wurde Haiti wieder von einer Naturkatastrophe getroffen. Am vergangenen Samstag, um 8.29 Uhr Ortszeit erschüttert ein starkes Erdbeben mit einer Stärke von 7,2 den gesamten westlichen Teil von Haiti. In der Nacht von Samstag auf Sonntag kommt es zu einem schweren Nachbeben. Und damit nicht genug: Nach dem schweren Erdbeben droht mit dem Tropensturm „Grace“ die nächste Katastrophe.

Projektstandorte im Bebenzentrum

Dieses mal betrifft das Zentrum des Bebens anders als 2010 weniger dicht besiedelte Gebiete, also mehr den ländlicheren Teil. Mit am stärksten betroffen sind die Gebiete zwischen Jérémie und Léogâne. Dort hat der Verein „Pro Haiti“ aus Aidlingen gleich zwei seiner Projektstandorte. Seit 1993 setzt sich der Verein für die Menschen vor Ort ein, hat 1994 ein Berufsausbildungszentrum in Jérémie eingerichtet, 2010 folgt ein weiteres Zentrum für Bauberufe in Léogâne. Das Ziel: Hilfe zur Selbsthilfe mit Ausbildungsmöglichkeiten auf dem Land, das neben der Hilfe für den Wiederaufbau auch die Zukunft vor allem auch für die jüngeren Menschen attraktiver machen soll. Aktuell soll auch einlang-geplanter und vollgepackter Übersee-Container von Nagold aus nach Haiti verschickt werden, der dort Ende September ankommen soll.

Die Anrufe der Mitarbeiter aus Haiti erreichen Vereinsgründer Franz Groll nur knapp eine Stunde nach dem ersten Beben am Samstag. Die Menschen sind in Panik, viele sind noch von der Erdbeben-Katastrophe von 2010 traumatisiert. Sie fürchten sich ihre Häuser zu betreten, aufgrund der Nachbeben-Erfahrungen aus der Vergangenheit. „Unsere Kontakte vor Ort haben uns berichtet, dass die Menschen dermaßen schockiert und in Panik waren, dass sich viele sofort übergeben haben. Das hat sie sehr mitgenommen“, sagt Martin Hovekamp, der seit dem schweren Beben im Jahr 2010 im Vorstand des Vereins „Pro Haiti“ aktiv ist.

Mit Stand von gestern ist von mindestens 1400 bestätigten Toten und mehr als 7000 Verletzten die Rede. Auch die Stadt Jérémie hat rund 100 Todesopfer zu beklagen. Viele Menschen schlafen seitdem unter freiem Himmel, da sie weitere Nachbeben erwarten. Hier bräuchte es jetzt dringend Zelte und eine Grundversorgung mit Trinkwasser und Lebensmittel, sagt Martin Hovekamp.

Krankenstationen sind überlaufen

Doch es gibt auch gute Nachrichten inmitten der Katastrophe: Die Häuser und auch die Berufsschulen, die der Verein nach dem Erdbeben im Jahr 2010 und nach dem Wirbelsturm 2016 dort und in Léogâne wiederaufbaute, haben das Erdbeben gut überstanden. „Das zeigt uns, dass es gut war, was wir dort in den letzten Jahren aufgebaut haben. Aber generell hat das Beben heftig zugeschlagen. Der massive Turm der markanten Kathedrale in Jérémie ist eingestürzt, Häuser sind zerstört und die Krankenstationen sind überlaufen“, berichtet Martin Hovekamp.

Am stärksten sei die Südprovinz Haitis vom Erdbeben betroffen. Dort gibt es Projekte weiterer kleinen Organisationen aus Deutschland, mit denen die Mitglieder von „Pro Haiti“ zusammenarbeiten und in engem Austausch stehen. Eine dieser befreundeten Hilfsorganisationen ist der Verein „Pwojè men kontre Haiti–Deutschland“ aus dem Schwarzwald, der gemeinsam mit dem Karlsruher Verein „Engineers without Borders“ Waisenheime und Schulgebäude in der Gemeinde Beaumont aufbaut.

Die deutsche Ärztin Dr. Anke Brügmann leitet das Projekt vor Ort und berichtet nun: „Ich habe alle Hände voll zu tun, die Verletzten aus Beaumont zu versorgen. Laufend werden mir Menschen gebracht, die medizinische Hilfe brauchen. Verbandsmaterial ist zu wenig da. Aber dennoch werden die Wunden irgendwie versorgt.“ Martin Hovekamp befürchtet, dass es durch das neuerliche Erdbeben wieder vermehrt Waisenkinder in der Region geben wird.

„Der Staat ist nicht da“

Fast 80 Prozent der Häuser sind derweil in der nahe gelegenen Gemeinde Aquin zerstört. Dort sind die Organisation „Haiti Projet Education“ sowie die Biohaus-Stiftung mit Projekten aktiv, mit denen der Aidlinger Verein „Pro Haiti“ ebenfalls schon zusammen gearbeitet hat. „Der Staat ist überhaupt nicht da, wir sind die Einzigen, die versuchen, etwas zu tun. Es wird auf der Straße in vier Notküchen in Aquin mit von uns organisierten Reis und Bohnen gekocht, wie wir es auch schon 2016 nach dem Hurrikan getan haben“, berichten die Ansprechpartner vor Ort.

Bevor es an den Wiederaufbau gehen kann, müsse jetzt schnell und direkt vor Ort mit dem Nötigsten geholfen werden, sagt Martin Hovekamp. Denn es fehle an allem. „Wir sind in engem Kontakt mit den Menschen vor Ort und versuchen jetzt vor allem mit Spendengeldern schnell zu helfen und die Grundversorgung sicher zu stellen“, sagt er.

Eines der Hauptprobleme, um jetzt schnell Hilfe in die betroffenen Gebiete zu bekommen, sei, so Martin Hovekamp, dass es aufgrund des bergigen Gebiets lediglich eine gut ausgebaute Straße von der Hauptstadt nach Jérémie und die umliegenden Provinzen gebe. Doch die ist durch mehrere Erdrutsche in Folge des Bebens blockiert.

Unsichere Straßen

Und die Straße nach Léogâne, also zum Halbinsel-Teil Haitis sei ebenfalls nur schwer passierbar, da dort seit längerer Zeit rivalisierende Banden die Passage nahezu unmöglich machen. „Wir erhoffen uns natürlich, dass es internationale Hilfe geben wird, die dort auch auf den Straßen für Sicherheit sorgen. Alleine schon damit die Hilfe ankommen kann und die Helfer vor Ort auch sicher agieren können“, sagt Martin Hovekamp.

Noch diesen Donnerstag will sich das Vorstandsteam vom Verein „Pro Haiti“ treffen und über mögliche Hilfe vor Ort zu beraten. „Wir bitten um Mithilfe durch Spenden oder Mitgliedschaften in unserem Verein. Wir brauchen auch Verstärkung im Vorstand, um die neuen Herausforderungen baldmöglichst von Deutschland aus meistern zu können“, sagt Martin Hovekamp.

Info

Wer die vom Erdbeben betroffenen Menschen in Haiti unterstützen möchte, der kann die Spendenkonten des Vereins „Pro Haiti“ nutzen.

  • Vereinigte Volksbank AG: DE57 6039 0000 0004 4990 00
  • Sparkasse Pforzheim-Calw: DE39 6665 0085 0000 0444 07
  • Kreissparkasse Böblingen: DE66 6035 0130 0000 9159 99

Stichwort: „Erdbeben 2021“

Für einen Spendenbeleg wird bei der Überweisung um Angabe der Anschrift und Email gebeten. Weitere Infos zum Aidlinger Verein „Pro Haiti“ und seinen Projekten vor Ort, gibt es unter www.pro-haiti.de im Netz.


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