Das letzte Heimländerspiel der Nationalelf
Stuttgart - Stuttgarts ruhmvoller sportlicher Chronik wurde gestern ein neues glänzendes Blatt angereiht. Vielleicht wird man in späteren Jahren dieses Kapitel des Erfolges (?) unserer Stadt als ganz besonderen Stolz ansehen“, schreibt ein Reporter der Stuttgarter Nazi-Zeitung „NS-Kurier“ am 2. November 1942. Was ein Tag zuvor geschehen war? Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft hatte in der Adolf-Hitler-Kampfbahn (also der heutigen Mercedes-Benz-Arena) gegen Kroatien gespielt und mit 5:1 gewonnen.
In die Geschichte sollte das Spiel tatsächlich eingehen – allerdings in erster Linie nicht als großer Erfolg, sondern als letztes Heimländerspiel der deutschen Nationalmannschaft und zweitletztes Länderspiel der Deutschen überhaupt vor Beginn des Totalen Krieges 1943.
„Die Spieler mussten sich für die Termine frei nehmen.“
Aber zurück zum 1. November 1942. Während in Russland die letzten Angriffe deutscher Soldaten auf Stalingrad zusammenbrechen, finden sich in Stuttgart 50.000 Zuschauer im Stadion ein. Mit dabei: der bekannte deutsche Jagdflieger Hermann Graf. Trainer Sepp Herberger bringt Fußballer aus ganz Deutschland auf den Platz. Darunter sind Paul Janes von Fortuna Düsseldorf, Albert Sing von den Stuttgarter Kickers, Ernst Willimowski vom TSV 1860 München und auch ein gewisser Fritz Walter vom 1. FC Kaiserslautern.
Ein Profisportler, der von seinen Leistungen auf dem Platz seinen Lebensunterhalt verdient, war keiner von ihnen. „Die Spieler hatten damals noch einen Beruf, und es war mitnichten so, dass Länderspiele für die Fußballer lukrativ waren“, erklärt der Stuttgarter Historiker Wolfram Pyta. „Die Spieler mussten sich für die Termine freinehmen.“ Ein Verteidiger des Hamburger SV etwa sei für das Heimspiel der Nationalelf 1942 in Stuttgart nicht eingesetzt worden, weil er körperlich nicht fit genug gewesen sein soll.
Gleichzeitig wütete der Zweite Weltkrieg. Fußball, so der Gedanke der nationalsozialistischen Führung, diente als willkommene Ablenkung für die kriegsgezeichnete Bevölkerung. Allerdings nicht bedingungslos: Als Deutschland 1940 im Länderspiel gegen Schweden 1:2 verlor, schrieb ein wütender Reichspropagandaminister Joseph Goebbels an Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten, es dürfe künftig „kein Sportaustausch gemacht werden, wenn das Ergebnis im geringsten zweifelhaft“ sei.
Fußball ja, verlieren nein
Nationaltrainer Sepp Herberger verfolgte dabei seine eigene Strategie. „Er wollte die Spieler vor dem Grauen des Krieges retten“, sagt Pyta. In einem Blatt des nationalsozialistischen Reichsbundes für Leibesübungen heißt es 1941: „Viele von ihnen, die heute ein Stolz unserer Nationalmannschaft sein könnten, stehen (...) nicht zur Verfügung, denn sie sind auf schwerem Posten an Deutschlands Grenzen.“ Von 350 „Spitzenkönnern“ seien „in den letzten Jahren (...) 300“ bei der Wehrmacht gelandet.
Paul Janes feiert sein 70. Länderspiel
Eine Elf steht am 1. November 1942 in Stuttgart trotzdem auf dem Platz. Hinter sich weiß sie ein Spiel gegen die Schweiz. In Bern gewann Deutschland rund zwei Wochen zuvor 5:3. Dagegen beginnt das Spiel in Stuttgart schwach, sind sich die damaligen Reporter einig. Vor allem über die Rolle Fritz Walters herrschen unterschiedliche Meinungen: „Walter kam nicht recht ins Spiel, der merkwürdigerweise halb links auftauchte; er war nie da, wenn er gebraucht wurde“, schreibt das Reichssportblatt. „Der Hauptlenker des deutschen Angriffsspiels war wie auch schon in Bern unser unvergleichlicher Walter“, berichtet der Vorläufer der Stuttgarter Zeitung, das „Stuttgarter Neue Tagblatt“.
Schlussendlich bringt Paul Janes die unerwartet frühe Erlösung für das deutsche Team. In der 20. Minute trifft er per Freistoß zum 1:0. Das Heimspiel ist zugleich sein 70. Länderspiel. Mit insgesamt 71 Länderspielen wird er als deutscher Rekordnationalspieler erst 1970 von Uwe Seeler abgelöst.
Noch vor der zweiten Hälfte folgt das 2:0 durch Fritz Walter, dann ein Doppelpack von Willimoski. Der Anschlusstreffer des Kroaten Franjo Wölfl zum 1:4 kann das Spiel nicht mehr drehen, in der 86. Minute trifft August Klingler zum 5:1-Endstand.
Nach dem gewonnen Heimspiel steht die Nationalelf vorerst nur noch ein weiteres Mal auf dem Platz: Am 22. November 1942 gewinnt sie mit 5:2 auswärts gegen die Slowakei. Dann ist Schluss. Joseph Goebbels ruft den Totalen Krieg aus, viele der Spieler werden in die Wehrmacht eingezogen. Acht lange Jahre später, am 22. November 1950, findet erst wieder ein Länderspiel statt. Erneut wird es in Stuttgart ausgetragen. Diesmal allerdings mit einer fast gänzlich anderen deutschen Mannschaft. Dabei sind nur noch Fritz Walter und Andreas Kupfer.

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