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Das Porträt: Fast 40 Jahre lang war der Aidlinger Andreas Heßelmann das Gesicht der Sindelfinger Buchhandlung Röhm, jetzt geht er in den Ruhestand

Der Herr der Bücher sagt Adieu

Die Buchhandlung Röhm ohne Andreas Heßelmann? An diesen Gedanken werden sich viele Bücherwürmer und Leseratten in Sindelfingen und Umgebung wohl nur sehr schwer gewöhnen. Doch Ende August ist es tatsächlich so weit: Nach fast 40 Jahren geht Buchhändler Andreas Heßelmann in den Ruhestand.
Von unserem Redakteur 
Tim Schweiker
"Jetzt beginnt ein neues Kapitel": Andreas Heßelmann verlässt die Buchhandlung Röhm und Sindelfingen. Bild: Schweiker

"Jetzt beginnt ein neues Kapitel": Andreas Heßelmann verlässt die Buchhandlung Röhm und Sindelfingen. Bild: Schweiker

Lehrer, Schreiner oder Koch. Das waren die Optionen. Geworden ist er Buchhändler. Mein Vater hat gesagt: „Mach doch was Kaufmännisches.“ Und so marschiert der junge Andreas, der 1979 kurz vor dem Abitur steht, schnurstracks in die Buchhandlung Röhm am Sindelfinger Marktplatz.

Dort sagt ihm die Chefin gleich mal, was Sache ist: „Else Held-Röhm hat sage und schreibe drei Stunden lang aus dem Nähkästchen geplaudert – und mir am Ende gesagt, dass Buchhändler doch kein Beruf für mich sei: lange Arbeitszeiten, überschaubare Karrierechancen. Ich solle mir das doch sehr gut überlegen.“

Andreas Heßelmann überlegt, taucht eine Woche später wieder in der Buchhandlung auf und will immer noch Buchhändler werden: „Als ich wieder ging, hatte ich den Ausbildungsvertrag in der Tasche, noch vor dem Abschlusszeugnis.“

Grass, Konsalik, Bichsel

Aus dem angestrebten Abitur am Goldberg-Gymnasium wird für den 1958 in Duisburg geborenen Andreas Heßelmann zwar nichts, seiner Karriere als Buchhändler tut das keinen Abbruch: „Ich habe in meiner Lehre wahnsinnig viel gelernt, vor allem von Frau Held. Sie war eine Chefin, wie man sie sich nur wünschen kann: streng im besten Sinne, unglaublich belesen und ein feiner Mensch. Alles, was ich in diesem Beruf kann, habe ich im Grunde von ihr gelernt.“

Andreas Heßelmann ist von Anfang an Feuer und Flamme für seinen Beruf, er liebt den Umgang mit Büchern, mit Lesern und nicht zuletzt mit den Autoren. Unzählige Begegnungen mit den Größen der Branche hat Andreas Heßelmann erlebt. Politiker wie Wolfgang Schäuble, Sigmar Gabriel oder Manfred Rommel waren ebenso dabei wie Kabarett-Legende Dieter Hildebrandt und Literatur-Stars wie Heinz G. Konsalik, Günter Grass, Max Frisch oder, aus jüngeren Jahren, Martin Suter, an dem er „den feinen, stillen Humor“ schätzt. An einen erinnert sich Heßelmann besonders gerne: „Peter Bichsel hat mich sehr berührt. Ein ganz unaufgeregter, sympathischer und sehr genau beobachtender Mensch, der Missstände in der Gesellschaft seziert und zu literarischen Perlen formt.“

Nicht nur in der Buchhandlung ist Andreas Heßelmann für seine Kunden über Jahrzehnte ein kompetenter Ratgeber, unterhaltsamer Gesprächspartner und launiger Moderator von Lesungen. Bei weit über 600 Buchvorstellungen in Schulen, Kindergärten oder Vereinen bringt er die Literatur buchstäblich zu den Menschen.

Ein enormer Aufwand, der sich aus Heßelmanns Sicht gelohnt hat. „Ich verkaufe ja keine Klamotten. Als Buchhändler vermittelst du Kultur und erlebst, wie sich diese Kultur verwandelt. Bücher zu verkaufen, das hat immer auch etwas Überraschendes. Wenn Leser oft nach Wochen wieder kommen und sich für meine Empfehlung bedanken, das ist unbezahlbar.“

Sein Chef Ulrich Röhm hat die Stärke von Andreas Heßelmann schon zu dessen 25-jährigem Betriebsjubiläum beschrieben: „Er versteht es, leere Räume mit Leben zu füllen, indem er Menschen mit offenem Blick begegnet, sich ihnen zuwendet und so den Geist unserer Buchhandlung und des ganzen Hauses vertritt.“ Heßelmann sei über all die Jahre für „Kunden, Mitarbeiter und die Familie Röhm ein Anker“ gewesen.

Andreas Heßelmann macht sich freilich Sorgen um die Zukunft des familiengeführten Buchhandels. „Wenn man sieht, wie schnell allein in Stuttgart viele Buchhandlungen verschwunden oder von großen Ketten gekauft worden sind, dann ist das schon bedenklich. Es braucht schon sehr viel Idealismus, Fantasie und enormen Einsatz, um diese Uniformität aufzubrechen.“

Heßelmann ist sich sicher: „Die großen Ketten werden Einfluss nehmen auf die Kataloge der Verlage. Das heißt aber auch: Es werden Nischen frei bleiben für kleinere, besondere Programme. Damit kann man sich durchaus profilieren.“

Für Andreas Heßelmann sind Bücher mehr als eine Ware, er lebt mit ihnen. Natürlich auch daheim in Aidlingen und künftig in Ellwangen: „Wir haben vermutlich rund 4500 Bücher zu Hause, davon allein 500 signierte Exemplare mit persönlicher Widmung der Autoren. Bücher machen sich bei uns überall breit, sie sitzen auch zur Hälfte auf dem Doppelsofa.“

Ein solches Leben mit Büchern – da liegt irgendwann der Schritt nahe, selbst zu schreiben. Das tut Andreas Heßelmann seit mehr als 20 Jahren und mit wachsendem Erfolg: Sein achtes Buch, der Padua-Krimi „Zementschlacht“ ist erschienen, im Herbst folgt Nummer neun: „Ich mag meine Figuren. Und ich finde es spannend, mit meinen Geschichten zu zeigen, dass es manchmal eben nicht rund läuft. Dass nicht alles im Leben zu einem Abschluss kommt. Zumindest nicht zu dem, den man geplant hat.“

„Wie in einem spannenden Buch“

So sieht er das auch für sich selbst. Er macht keinen Hehl daraus, dass seine in letzter Zeit etwas angeschlagene Gesundheit die Entscheidung, aufzuhören, beschleunigt hat. Darüber lamentieren will Heßelmann nicht. „Es ist wie in einem spannenden Buch. Man ist gespannt, was die letzten Kapitel zu bieten haben. Und dann ist der Schluss ja manchmal ganz anders als erwartet. Darauf setze ich.“

Das nächste Kapitel schlägt er mit seiner Frau Susanne, die er – wo sonst – bei der Arbeit in der Buchhandlung kennengelernt hat, nicht mehr in Sindelfingen auf: „Wir renovieren das Haus meines Schwiegervaters in Ellwangen. Das wird unser neues Domizil. Ich freue mich darauf.“