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Pro und contra

Die Fußball-WM in Katar – anschauen oder nicht?

Am Sonntag beginnt die Fußball-WM. Umfragen zeigen, dass der Anteil derer, die lieber wegschauen, groß ist. Für andere ist die Leichtigkeit des reinen Spiels vor allem in diesen sowieso schwierigen Zeiten eine gute Sache. Es gibt Argumente.
Von Peter Maier
In Katar wird kein Schnee fallen, hierzulande während der WM vielleicht schon. Aber das ist nicht der Grund dafür, warum diese Spiele dermaßen umstritten sind.   Bild: Wegner

In Katar wird kein Schnee fallen, in Europa während der WM vielleicht schon. Aber das ist nicht der Grund dafür, warum diese Spiele dermaßen umstritten sind. Bild: Wegner

Verlogene Protestaktion

Edip Zvizdiç, SZ/BZ-Mitarbeiter und immer noch in der Sindelfinger AH am Ball

"Ich bin überzeugt davon, hätten sich die großen Fußballverbände – allen voran der Deutsche Fußball-Bund, immerhin der größte Sportverband der Welt – zusammengeschlossen, das Auswahlverfahren für die WM wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht nur wiederholt worden, sondern hätte auch für all die Jahre danach an Transparenz gewonnen. 12 Jahre hatten die Gegner einer Fußball-WM in Katar Zeit, die aberwitzige Entscheidung rückgängig zu machen, sie haben keinen Finger gerührt. In den vergangenen Monaten haben die Boykottaufrufe aber kräftig an Fahrt aufgenommen. Natürlich gibt es einen Haufen Gründe, dem Treiben in Katar die kalte Schulter zu zeigen. Aber die gab es bei den WM-Endrunden in Russland, Brasilien oder Südafrika auch. Damals hielten sich die Forderungen nach einem Boykott in Grenzen. Und nicht zu vergessen: Auch das Sommermärchen in Deutschland anno 2006 war gekauft. Deshalb, wo anfangen, wo aufhören? Ich sehe es schlichtweg nicht ein, dass all die Probleme der Welt dem Fußball aufgebürdet werden. Ich weiß um die abscheulichen Menschenrechtsverletzungen in Katar, und jeder einzelne Fall stellt ein Verbrechen sondergleichen dar. Aber wieso wird ein Boykott der WM verlangt, aber kräftig Geschäfte mit den Kataris gemacht? Wieso werden nicht auf politischer Ebene all die Fronten geklärt, bevor man den Fußball und das größte Sportereignis in Sippenhaft nimmt? Wieso tragen Politiker bei ihren Staatsbesuchen keine Regenbogenbinden und zeigen klare Kante? Stattdessen werden die Teamkapitäne den Sittenwächtern zum Fraß vorgeworfen. Ich werde mich definitiv nicht an dieser durch und durch verlogenen Protestaktion beteiligen – auch im Falle, der einzige Mensch auf der Welt zu sein, der sich der boykottierenden Masse entgegenstellt. Mehr noch, ich werde mir, wenn möglich, jedes einzelne Spiel reinziehen und es genießen, nur mit einer überschaubaren Zahl von Fußballfans darüber reden zu können. Und ich freue mich auf all die sensationellen Duelle – angefangen beim würdigen Eröffnungsspiel zwischen dem WM-Gastgeber Katar und Ecuador, dem ewig jungen Klassiker zwischen dem Iran und den USA oder der Partie Marokko gegen Kanada."

Keine Lust auf schmutzige Spiele

Dirk Hamann, SZ/BZ-Redakteur und ehemaliger Fußballer

"Die Weltmeisterschaft in Katar ist ein Sahnebonbon für die Fußballwelt. Eingewickelt in rosarotem Schleifchen-Papier. Fifa-Präsident Gianni Infantino erwartet die größte Show der Welt. Und das völlig zu Recht. Denn das Treffen der globalen Kicker-Elite im Wüstenstaat ist seit der mit Schmiergeldzahlungen herbeibewirkten Vergabe des Turniers nichts anderes als eine riesige Inszenierung. Um die Produktion des Spektakels voranzutreiben, wird getäuscht, getrickst, geschmiert, ausspioniert, vertuscht und beschönigt. Es geht um Geld. Um Einfluss. Um Macht. Die Austragung der WM-Endrunde in dem Emirat, in dem rund 2,9 Millionen Menschen leben, ist die mit weitem Abstand teuerste der Geschichte. Kostete die WM 2006 in Deutschland noch 4,3 Milliarden US-Dollar, werden in Katar geschätzt 220 Milliarden US-Dollar ausgegeben. Für Infrastruktur. Und für den Neubau und die Sanierung von Stadien, die nach dem WM-Spektakel kaum noch jemand braucht. Selbst dann, wenn die Spielstätten hinterher zu Kaufhäusern oder Zirkuszelten umgebaut werden sollten – das Thema Nachhaltigkeit wird für den ganz großen 4-Wochen-Kick mit Füßen getreten. Ach ja, das Thema Menschenrechte gibt es obendrein. Man kann sich natürlich, frei nach Uli Hoeneß, hinstellen und sagen, dass so eine WM nicht die Generalversammlung von Amnesty International ist. Man kann ausklammern, dass für den Bau von Stadien und Infrastruktur für die WM Tausende von Arbeitsmigranten aus Südostasien ausgebeutet wurden und ums Leben gekommen sind. Man kann beiseiteschieben, dass in Katar homosexuelle Handlungen strafbar sind oder Frauenrechte mit Füßen getreten werden. Und wenn man es dazu schafft, darüber hinwegzusehen, dass das Emirat unter Verdacht steht, Terrororganisationen zu finanzieren, dann darf man ab dem 20. November vom Sofa aus auch ganz entspannt das WM-Sahnebonbon lutschen. Ich selbst habe keine Lust, diese schmutzige Demonstration von Geld, Einfluss und Macht als Zuschauer zu unterstützen. Dafür liebe ich das, was bei einer WM eigentlich im Vordergrund stehen müsste, viel zu sehr. Den Sport. Den Fußball. „Es wird die beste WM der Geschichte“, sagt Infantino. Für mich nicht. Sollen sie kicken wie sie wollen: Zum ersten Mal seit 1978 werde ich mir kein einziges WM-Spiel anschauen."