

**Böblingen.**Dr. Stefanie Reiss arbeitet seit einem Jahr als Klimaschutzmanagerin im Böblinger Rathaus. Und hat damit eine Mammutaufgabe übernommen. Denn erklärtes Ziel der Stadt ist es, bis 2035 klimaneutral zu werden. Was das bedeutet und was deshalb auf die Einwohner zukommt, dass sagt sie in einer neuen Folge des SZ/BZ-Podcasts „Willi und Dödel“. Hier ein Auszug:
Zum SZ/BZ-Podcast mit Dr. Stefanie Reiss geht's hier.
Böblingen will bis 2035 klimaneutralsein. Was bedeutet das eigentlich?
Dr. Stefanie Reiss: „Was wir essen, wie wir reisen, wie wir heizen – all das hat Einfluss auf unseren persönlichen CO2-Fußabdruck. Diesen kann man nicht nur für einzelne Personen ausrechnen, sondern auch für eine Stadt. Dazu nimmt man alles aus einer Stadt zusammen, Bürger oder und die Unternehmen, und berechnet so, wie viel CO2 eine Kommune produziert. Klimaneutral bedeutet, dass wir in einer Stadt nur so viel CO2 produzieren, wie es die Natur wieder aufnehmen kann. Es geht also darum, diesen Kreislauf in Gleichklang zu bringen.“
Ist das für eine Stadtmöglich?
Dr. Stefanie Reiss: „Es ist eine riesengroße Herausforderung, eine große Anstrengung. Wir müssen viel, vielschaffen.“
Lässt sich der Klimaschutzauf CO2 reduzieren?
Dr. Stefanie Reiss: „Nein, es ist mehr. Wenn man es genau nimmt, spricht man von CO2-Equivalenten. Alles, was wir an Gasen erzeugen, kann man umrechnen in CO2-Equivalente. Insgesamt könnte man von Treibhausgas-Neutralität sprechen – aber der Begriff CO2-Neutralität beziehungsweise Klimaneutralität, hat sich etabliert, weil er griffiger ist.“
Was hat es mit dem 12-Punkte-Plan der Stadt Böblingen auf sich? Das erfahren Sie hier.
Warum ist es denn so wichtig klimaneutral zu werden?
Dr. Stefanie Reiss: „Wir haben die Klimakrise, weil wir auf Kosten der Natur leben. Seit der Industriellen Revolution pusten wir viel zu viele Treibhausgase in die Atmosphäre. Dadurch wird es immer wärmer. Die Auswirkungen wie Hitzesommer oder Starkregenereignisse merken wir inzwischen auch in Böblingen. Und damit es in dem Bereich nicht schlimmer wird, sondern perspektivisch besser, müssen wir uns jetzt richtig anstrengen, um die ganzen Klimaschutzmaßnahmen zu verbessern und zu verstärken.“
Und im kleinen Böblingen rettet man jetzt mit dem Ziel, bis 2035 klimaneutral sein zu wollen, die Welt?
Dr. Stefanie Reiss: „Ja. Wir retten die Welt in Böblingen. Und genauso müssen wir die Welt in Deutschland retten, genauso sind die Amerikaner und die Chinesen gefordert. Und: Überall passiert auf unterschiedlichen Ebenen auch ganz viel. Gerade in der EU ist ganz vielpassiert, auch was Vorgaben und den gesetzlichen Rahmen angeht – und das wird jetzt auch nach und nach runtergebrochen. Wir retten also nicht nur in Böblingen die Welt, sondern überall und wir tauschen uns natürlich aus. Wir gucken auch, was in anderen Städten passiert, was wir uns dort abschauen können.“
Wenn ich als Kommune nicht mitmache, muss ich dann befürchten, dass mir das irgendwann auf die Füße fällt,weil es Regularien geben wird, die richtig Geld kosten?
Dr. Stefanie Reiss: „Auf jeden Fall. Die wird es geben, das ist völlig absehbar. Es gibt jetzt schon gesetzliche Vorgaben, was Kommunen machen müssen – und das wird mehr. Deshalbwollen wir in Böblingen einfach vorangehen. Zumal es auch immer wieder Fördermittel gibt, die man für gute Projekte bekommen kann.“
Ein klassisches Gegenargument lautet: Wir im Herzen Europas strengen uns an, aber China bläst sowieso alles doppelt und dreifach wieder in die Luft. Demotiviert so etwas nicht?
Dr. Stefanie Reiss: „Auch in China passiert ja viel. Zum Beispiel bei den erneuerbaren Energien, findet in China ein Ausbau statt, der viel höher ist als bei uns in Europa. Es gilt aber, dass jeder an seiner Baustelle arbeiten muss. Wir müssen unseren Teil tun, die Chinesen müssen ihren Teil tun. Und wenn man die Sache historisch betrachtet, dann haben wir in Europa schon so viel mehr CO2 in die Atmosphäre geblasen, dass wir auch in diesem Sinne eine riesengroße Verantwortung haben, der wir gerecht werden müssen.
Generell ist Klimaschutz ja kein Selbstzweck. Klimaschutzmaßnahmen sorgen ja für gute und bessere Gebäude, besseren Verkehr, machen eine Stadt lebenswerter. Von daher lohnt es sich, da auch viel Arbeit reinzustecken.“
Wenn die Veränderungen spürbar werden, hat das doch auch was mit Verzicht zu tun, oder?
Dr. Stefanie Reiss: „Klar, wenn ich auf tierische Produkte verzichte, dann ist das positiv für das Klima. Das ist natürlich erst mal ein Verzicht – aber es ist auch ein Gewinn, weil die klimafreundlichste Ernährung in meinen Augen auch die gesündeste für den Körper ist. Und genauso gibt es viele andere Beispiele. Wenn ich Energie sparen will, dann baue ich bessere Gebäude – keiner wohnt und arbeitet ja gerne in zugigen Gebäuden. Wenn ich Gebäude ordentlich dämme und dadurch eine bessere Temperaturverteilung habe, ist es angenehmer, sich dort aufzuhalten. Und gleichzeitig wird dadurch die Strom- und Heizrechnung geschont.“
Im 12-Punkte-Plan, mit dem Böblingen bis 2035 die Klimaneutralität erreichen will, steht, dass wenn man die 119 größten Dächern mit Photovoltaik bestücken würde, man damit ein Viertel des Stromverbrauchs der Stadt abdecken könnte. Warum macht man das nicht einfach?
Dr. Stefanie Reiss: „Da liegen die Herausforderungen in der Umsetzung. Bei großen Dachflächen gibt es auch immer Fragen der Statik zu beantworten – aber auch da tut sich ganz viel. Die Module werden immer leichter, wodurch auch ermöglicht wird, Hallendächer zu nutzen.“
Neben Maßnahmen für den Klimaschutz liegt ein weiteres Hauptaugenmerk auf Klimaanpassung. Was bedeutet das?
Dr. Stefanie Reiss: „Es geht darum, unsere Bürger und unsere Stadt vor zunehmender Hitze mit mehr Beschattung durch mehr Grün zu schützen. Es geht aber auch um Infrastrukturmaßnahmen, die für mehr Schutz bei Starkregenereignissen sorgen sollen.“
So will Böblingen bis 2035 klimaneutral werden
Die Stadt Böblingen will bis 2035 klimaneutral sein. Dieses Ziel hat der Gemeinderat in seiner Sitzung am Mittwoch einstimmig befürwortet. Um dieses Ziel zu erreichen, wird das bestehende Klimaschutzkonzept fortgeschrieben, wobei zwölf Punkte schon jetzt als Leitlinie dienen. 1. Ausbau von WindkraftIn Böblingen sollen Windkraftanlagen mit einer Leistung von bis zu 17,3 GWh Strom pro Jahr gebaut werden können. Damit könnten mehr als 5000 Haushalte mit Strom versorgt werden. 2. Ausbau von Photovoltaik„Allein die 119 größten Dachflächen in Böblingen haben ein Potenzial von insgesamt 34,5 GWh pro Jahr, das entspricht einem Viertel unseres gesamten Stromverbrauchs“, sagt Dr. Stefanie Reiss. 3. Ausbau von FernwärmeZum Beispiel soll auch der neue Stadtteil, der auf dem IBM-Areal gebaut wird, komplett ans Fernwärmenetz angeschlossen werden. 4. Klimafreundlicher NeubauWie beim Schulzentrum Stockbrünnele oder beim IBM-Areal soll unter Berücksichtigung höchster energetischer Standards in Holz- und Holz-Hybrid-Bauweise gebaut werden. 5. Energetische SanierungenZwei Drittel der Gebäude in Böblingen wurden zwischen 1965 und 1985 errichtet. Insbesondere bei der Sanierung der Schulen und Kitas wolle man Einsparungen realisieren. 6. Ausbau des RadwegenetzesUm mehr Menschen zum Umsatteln zu bewegen, will die Stadt sichere, schnelle und durchgängige Verbindung aller Stadtteile untereinander schaffen. 7. Ausbau der Fußgänger-WegeInsbesondere die Wege zu Schule und Kita verbessern und so ausbauen, dass bis 2030 höchstens 20 Prozent der Wege zu Schule und Kita per Auto erledigt werden, heute sind es 38 Prozent.8. Stadt der kurzen WegeDer ÖPNV soll attraktiver werden, die letzten Meter von oder zur nächsten Station zügig überbrückbar sein. Deshalb werden zwei weitere Regio-Rad-Stationen errichtet. 9. Digitalisierung der StadtverwaltungDer Ausbau der Digitalisierung in der Verwaltung soll administrative Prozesse papierlos, schneller und effizienter gestalten. 10. Städtischer E-FuhrparkDer städtische Fuhrpark wird auf klimaneutrale Fahrzeuge, insbesondere E-Bikes und E-Autos, umgestellt. 11. Maßnahmen zur Klimaanpassung Mehr Bäume und Grünflächen sollen in der Stadt als Schattenspender und zur Kühlung der Umgebung dienen. 12. Information und SensibilisierungDie Stadt will Projekte zum Thema „Klima und Energie“ für Schulen und Kitas anbieten. Dazu gibt es Info-Veranstaltungen für Bürger. Infos unter www.boeblingen.de im Netz.