Manfred Lucha: „Zur offenen Gesellschaft gibt es für uns in Deutschland keine Alternative“
Böblingen. Die Psyche von Geflüchteten und Migranten stärken, damit sie im Alltag mit Stress, Trauer oder auch Rassismuserfahrungen besser umgehen können: Darum geht es beim präventiven Gesundheitsprogramm „Mind-Spring“, das seit 2018 vom Landessozialministerium und von der Stiftung für gesundheitliche Prävention mit Mitteln aus der gesetzlichen Krankenkasse finanziert wird. In Böblingen hat sich Landessozialminister Manfred Lucha mit Trainern und Initiatoren des Projekts getroffen.
Bevor sie sich für „Mind-Spring“ als Trainerin hat ausbilden lassen, sei sie mit ihrer psychischen Gesundheit am Ende gewesen, erzählt eine Teilnehmerin des Programms, die in Afghanistan geboren wurde, im Iran aufwuchs und vor einigen Jahren nach Deutschland geflohen ist: „Eigentlich war ich so weit, dass ich nicht mehr weiterleben wollte.“ Ein großes Problem sei das Thema Identität: „In der Heimat hatte man Ausbildung, Arbeit und Wohnung und definierte darüber die eigene Identität“, so die Frau aus Afghanistan: „In Deutschland ist man einfach nur Asylbewerberin.“
"Innovatives und präventives Gesundheitsprogramm"
Als „innovatives und präventives Gesundheitsprogramm von und für Menschen mit Migrationserfahrung“ versteht sich „Mind-Spring“. Das heißt: Begleitet von entsprechend ausgebildetem Fachpersonal lassen sich Menschen mit Migrationserfahrung, zum überwiegenden Teil sind dies Frauen, zu Trainerinnen ausbilden, um andere Menschen mit Migrationserfahrung zu unterstützen.
„Muttersprachler mit eigenen Migrationserfahrungen unterstützen andere Menschen mit Migrationserfahrung“, fasst Katharina Pfister, Leiterin des Amts für Migration und Flüchtlinge, den zentralen Kniff von „Mind-Spring“ zusammen – im Landratsamt Böblingen sind außerdem die Leiterin des Sachgebiets „Integration“, Carolina Monfort Montero, und deren Mitarbeiterin Cristina Visiers Würth für die Umsetzung des Projekts federführend verantwortlich.
Von dem Konzept profitieren nicht zuletzt die Trainer selbst: Wie „Mind-Spring“ die eigene Psyche und Resilienz gestärkt hat, erzählen beim Treffen mit Manfred Lucha über zehn Projekt-Teilnehmer. Die für Menschen mit Migrationserfahrung zentralen Themen würden von Stress im Alltag über Verlust und Trauer bis hin zum Umgang mit Rassismuserfahrung reichen. Und das Thema Identität spiele bei allen Teilnehmern des Projekts eine zentrale Rolle. Sie habe durch „Mind-Spring“ anderen Geflüchteten helfen können und sei durch diese Erfahrung selbst wieder psychisch auf die Beine gekommen, erzählt die Frau aus Afghanistan: „Jetzt möchte ich gerne Soziale Arbeit studieren.“
Bisher 70 Personen zu Trainern ausgebildet
Insgesamt hätten seit Beginn von „Mind-Spring“ über 700 Menschen im Landkreis Böblingen von dem Projekt profitiert, schätzt Katharina Pfister. Insgesamt rund 70 Menschen wurden hier bislang als Trainerinnen und Trainer ausgebildet – mit den Muttersprachen Arabisch, Persisch, Englisch, Ukrainisch, Türkisch, Rumänisch und Georgisch. Ursprünglich im Jahr 2016 im Enzkreis erstmalig in Deutschland umgesetzt, gibt es „Mind-Spring“ mittlerweile im Landkreis Böblingen, im Ostalbkreis, in Rastatt, Reutlingen, Karlsruhe und Tübingen. International wurde „Mind-Spring“ vor 20 Jahren in den Niederlanden ins Leben gerufen und wird aktuell unter anderem in Dänemark, dem Vereinigten Königreich und in Island umgesetzt.
Aus Mitteln des Ukraine-Fonds gibt es im Landkreis Böblingen seit 2023 außerdem „Mind-Spring junior“ für Menschen mit Migrationserfahrung zwischen 8 und 18 Jahren. „Damit machen wir sehr gute Erfahrungen“, so Carolina Monfort Montero: Gerade junge Menschen in der Phase der Identitätsfindung seien empfänglich für „Mind-Spring“. Geplant sei deswegen, das Angebot für Kinder und Jugendliche zu verstetigen und auszubauen.
Unterm Strich sei „Mind-Spring“ ein sehr günstiges Projekt, sagt Sozialdezernent Dusan Minic: Jeder sinnvoll in Prävention investierte Euro werde an anderer Stelle gespart. Ein Programm wie „Mind-Spring“ sei hervorragend geeignet, Herausforderungen einer offenen Gesellschaft zu begegnen, so Manfred Lucha: „Und zur offenen Gesellschaft gibt es für uns in Deutschland keine Alternative.“