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Corona hinterlässt Spuren

Sindelfingen: Bei Jugend musiziert ist Aufbauarbeit gefragt

Freude über Klavierboom beim Regionalwettbewerb Jugend musiziert und Sorgen mit Blick auf Ensmbles und Ältere
Von Bernd Heiden
Der 14-jährige Harry Wang war einer der vielen Nachwuchsmusiker beim Regionalwettbewerb Jugend musiziert in der SMTT. Bild: Heiden

Der 14-jährige Harry Wang war einer der vielen Nachwuchsmusiker beim Regionalwettbewerb Jugend musiziert in der SMTT. Bild: Heiden

Sindelfingen/Kreis Böblingen. Harry Wang ist erst 14 Jahre alt. Und doch schon so etwas wie ein Routinier. Zumindest beim Wettbewerb Jugend musiziert. So muss der junge Pianist schon nachrechnen, wie oft er bei dem seit 1964 erstmals bundesweit ausgetragenen Wettbewerb teilgenommen hat. Es müsste eigentlich das 6. Mal sein, sagt er.

Harry Wang zählt zu den knapp 150 Nachwuchsmusikern, die sich am Wochenende in der SMTT mit ihrem Vorspielprogramm den Fachjurys stellten. Am Ende gibt es für die jungen Musizierenden eine Einordnung nach Punkten und Preisen. 25 ist die Maximalpunktzahl, die Solisten oder Ensembles erreichen können. Außer bei den Allerjüngsten, den 2014 oder später Geborenen der Altersgruppe I geht es bei einigen aber auch darum, die magische Hürde von 23 Wertungspunkten zu nehmen. Zu denen, die diese Hürde anvisiert haben, gehört auch Harry Wang. Denn die 23 ist das Ticket für die nächsthöhere Stufe von Jugend musiziert, den Landeswettbewerb, der Ende März in Künzelsau und Waldstetten ausgetragen wird. Für Harry Wang aber ist selbst der anvisierte Landeswettbewerb nur die nächste Durchgangsstation. Der 14-jährige will noch weiter kommen.

Bundeswettbewerb im Blick

Der junge Pianist hat den Bundeswettbewerb im Blick, der Ende Mai in Zwickau beginnt. Denn Harry Wang hat vergangenes Jahr am Klavier gemeinsam mit seinem Klarinettenpartner bereits einen 1. Preis beim Bundeswettbewerb gewonnen. Jetzt aber braucht er noch ein wenig Geduld. Nachdem er sein Vorspiel hinter sich hat, muss er warten, bis die Jury nach den Beratungen sein Ergebnis verkündet. "Insgesamt bin ich schon zufrieden", sagt Harry Wang zu seinem gut 15 minütigen Klaviervortrag im Odeon der SMTT. "Ein paar kleinere Fehler waren drin, im Großen und Ganzen ging's aber", so der 14-Jährige.

Im Großen und Ganzen sind auch die Organisatoren dieses Böblinger Regionalwettbewerbs zufrieden. Zunächst und vor allem deshalb, weil der Wettbewerb nach drei Jahren unter Pandemieeinschränkungen wieder so läuft wie man das kannte, bevor Corona die Welt in den Würgegriff nahm. "Schön, dass wir den Wettbewerb wieder normal in Präsenz durchführen können", sagt der Vorsitzende Regionalausschusses Jugend musiziert für den Landkreis Böblingen, Stephan Bergdolt. Zwar ging der Regionalwettbewerb 2020 noch regulär über die Bühne, der anschließende Landes- und Bundeswettbewerb aber fiel flach. 2021 behalf man sich mit einem Wettbewerb im Digitalformat. 2022 war kein Publikum zugelassen.

"Auch die Teilnehmerzahlen sind wieder recht ordentlich", sagt Stephan Bergdolt. Während in der Coronaperiode die Zahl der Teilnehmenden auf Regionalebene 2022 auf 100 eingebrochen waren, haben sich für den ersten Wettbewerb nach der Pandemie knapp 150 Kinder und Jugendliche angemeldet.

Insbesondere in der Wertungskategorie Klavier solo, die nach drei Jahren erstmals wieder ausgeschrieben ist, sind die Zahlen sogar mehr als erfreulich. Normalerweise hätte man mit rund 60 Nachwuchpianisten rechnen müssen, sagt Siegfried H. Pöllmann, der vor über 20 Jahren dafür sorgte, dass sich ein Regionalwettbewerb im Landkreis etabliert, der seither ununterbrochen jedes Jahr veranstaltet wird mit der SMTT als Wettbewerbszentrum. Statt 60 aber haben sich mit Harry Wang zusammen 77 weitere für die Wertung Klavier solo gemeldet, erklärt Siegfried H. Pöllmann.

Freilich, er wie Stephan Bergdolt lesen aus den Zahlen auch Kritisches heraus. Zum einen sind die älteren Jahrgänge beim Klavier deutlich dünner vertreten als sie sollten. In der Altersgruppe V bis 18 Jahre zählt Siegfried H. Pöllmann 7 Teilnehmer. "Es müssten 15 sein", sagt er. In der Altersgruppe IV bis 16 Jahre sind es auch nur 7. "Das müssten 20 sein." Aber der Altersgruppe III findet er die Teilnehmerzahlen dann okay, wobei für den Boom die Jüngsten sorgen. Das Phänomen der ausgedünnten Älteren freilich ist nicht erst seit Corona bekannt. "Das ist ein altes Problem", sagt Stephan Bergdolt. Mit Einführung des G8-Turboabis und gestiegener zeitlicher Beanspruchung durch die Schule wurden ältere Teilnehmer vergleichsweise rar.

Keine einzige Anmeldung

Stephan Bergdolt aber weist nochmal besonders auf die Teilnehmerzahlen bei den Ensemblewertungen hin. So gab es für den Reginalwettbewerb keine einzige Anmeldung in der Sparte "Gemischte Ensembles", die Zahlen in der Kategorie Kammermusik generell machen ihn nicht zufrieden. Zum einen liest er hier den Pandemieffekt heraus. Denn die längerfristige Aufbauarbeit, die Ensembles benötigen, sei unter Coronabedingungen gar nicht zu leisten gewesen. Auf der anderen Seite nehme Ensemblearbeit bei einem Musiklehrer zusätzliche Ressourcen in Beschlag. "Der Aufwand ist viel höher, als die Bezahlung, die man dafür kriegt", so Stephan Bergdolt, der am AEG-Musikgymnasium unterrichtet und das dortige Sinfonieorchester leitet.

Einig jedenfalls sind sich er und Siegfried H. Pöllmann, dass sich seit rund 4 Jahren das Ende der goldenen Generation Jugend musiziert bemerkbar mache. Es sei nicht mehr wie noch vor wenigen Jahren selbstverständlich, dass Bundespreise an AEG-Schüler gingen, so Stephan Bergdolt. Es gelte nun Aufbauarbeit zu leisten. Als Ziel formuliert auch Siegfried H. Pöllmann stabil 200 Teilnehmer für künftige Regionalwettbewerbe.

Den ersten Schritt zu seinem persönlichen Ziel Bundeswettbewerb aber hat Harry Wang geschafft. 24 Punkte gibt ihm die Jury für sein Vorspiel. Das Ticket für die Landesebene ist für den jungen Leonberger damit gesichert.