

Sindelfingen. Paella, Ćevapčići oder in Öl gegrillte Sepien? Folklore, Pop, Rock oder Latino-Klänge? Egal: Am Wochenende duftet es überall in der Innenstadt nach Leckereien, spielt beim 45. Sindelfinger Straßenfest in allen Straßen und Gassen die Musik. Eine ebenso einmalige wie kunterbunte Mammut-Veranstaltung, die von Freitag bis Sonntag einmal mehr zig Tausende von Besuchern in die Altstadt locken wird.
Eine außergewöhnliche Fete, die sich der frühere Ausländerbeauftragte Friedrich Fausten ausgedacht hat, um damit die Integration von Menschen aus anderen Herkunftsländern in der Stadt voranzutreiben und um Spannungen und Vorurteile abzubauen. In einer neuen Folge des SZ/BZ-Podcasts „Willi und Dödel“ blickt er auf die Anfänge zurück – und verrät, worauf er sich beim Straßenfest besonders freut. Hier ein Auszug:
Zum SZ/BZ-Podcast "Willi und Dödel" mit Friedrich Fausten geht's hier.
Sie sind der Erfinder des Internationalen Sindelfinger Straßenfests. Das darf man so sagen, oder?
Friedrich Fausten: „Ja Gott, ich hab's versucht. 1977, als mich der Gemeinderat als Integrationsbeauftragter berufen hat, da habe ich gedacht, wie bringt man jetzt die Menschen - in Sindelfingen lebten damals schon 10 000 Menschen aus anderen Herkunftsländern - zusammen, wie integriert man sie ins gesellschaftlich-kulturelle Leben. Als Erstes war geboten, Veranstaltungen zu haben, um Menschen zusammenzubringen. Und so hat sich das ergeben, wir haben einfach mal mit dem Straßenfest begonnen. Und das wurde dann eine jährliche Angelegenheit.“
Lassen Sie uns mal in den 1970er-Jahren bleiben. Was war denn das für eine Zeit hier in Sindelfingen? Menschen unterschiedlichster Herkunft kamen, brachten so unglaubliche Dinge mit wie zum Beispiel Pizza. Wie hat sich das angefühlt? Hat man da vielleicht auch ein bisschen gefremdelt?
Friedrich Fausten: „Es gab in der Zwischenzeit auch ausländische Vereine, und es war so, dass ich mit diesen Vereinen angefangen haben. Das Internationale Straßenfest war ja auch 20 Jahre lang ein Fest der ausländischen Vereine mit deutschen Vereinen. Die Akteure kamen sich immer näher – und es wurden auch immer mehr Besucher, es wurden mehr als 100 000. Es gab also viele Begegnungen, man kam sich auch beim Essen und Trinken näher, wodurch Einiges an Vorurteilen abgebaut wurde.“
Waren die Vorurteile in der Stadtbevölkerung vor dem Straßenfest größer?
Friedrich Fausten: „Es gab Vorurteile und Spannungen – diese abzubauen war Sinn der Sache, deshalb wurde ich auch als Integrationsbeauftragter berufen. Man kann sagen, solange ich hier bin, sind der Stadt Sindelfingen soziale Spannungen erspart geblieben. Dazu muss man auch wissen, dass ja auch die Menschen aus verschiedenen Herkunftsländern untereinander Spannungen hatten. In der Türkei gab es zum Beispiel alle zehn Jahre eine kleine Revolution - das hat sich alles auch übertragen auf die ausländischen Vereine hier. Oder wenn ich an den Krieg im ehemaligen Jugoslawien denke, damals gab es erhebliche Spannungen zwischen Kroaten, Slowenen und Serben. Aber das hat sich nie übertragen aufs Straßenfest. Ich habe immer versucht, klarzumachen, dass wir hier friedlich miteinander feiern und keinen Krieg inszenieren. Daran haben sich immer alle gehalten - das war zwar nicht immer einfach, aber wir haben keine sozialen Unruhen in Sindelfingen erleben müssen.“
Hat das allererste Straßenfest 1977 schon etwas bewirkt?
Friedrich Fausten: „Ja, ich erinnere mich noch daran, dass die Deutsch-Italienische Gesellschaft, als der Stoff ausging, sich abends noch Spaghetti und Soße beschafft hat, um die Leute noch versorgen zu können. Die Nachfrage war schon beim ersten Straßenfest, was ja noch bescheiden nur in der Unteren Vorstadt stattgefunden hat, da. Dann mussten wir das Straßenfest Straße um Straße ausweiten, es hat schließlich die gesamte Innenstadt erfasst. Es ist angekommen. Auch die Besucherzahlen sind bis auf 200 000 Besucher stark angestiegen. Es hat anfangs eher gedauert, die eigenen Leute im Rathaus davon zu überzeugen.“
Warum? Was konnte man dort gegen das Straßenfest haben?
Friedrich Fausten: „Leichtfertig hat man gesagt: 'Dein Galottenfest'. Weil ich natürlich auch Forderungen gestellt habe. Der Bauhof musste ran, alle waren irgendwo mit eingebunden. Ich habe immer nur gehört, was nicht geht. So zum Beispiel Straßensperrungen. Und es kostete natürlich auch Geld – auch wenn es bescheidene Auswirkungen auf den Etat hatte. Das Straßenfest hat etwas heilige Unruhe in die Stadt gebracht. Heute ist es ganz selbstverständlich, heute will man das Fest ja – aber damals war es schon ein bisschen ungewohnt. So haben auch die Läden, die an sich samstagnachmittags hätten aufmachen dürfen, zugemacht um möglichst ihre Ruhe zu haben.“
Gab es denn Probleme?
Friedrich Fausten: „Ja, ich erinnere mich zum Beispiel an die Portugiesen, die ihre Sardinen grillen - verbunden mit Rauch und Geruch. Und die standen vor einem Laden, in dem Stoffe verkauft wurden. Und hinterher hat die Besitzerin der Stadt eine Rechnung geschickt, weil sie die Stoffe nicht mehr verkaufen konnte. In der Folge haben wir auf solche Dinge Rücksicht genommen.“
Musste man damals die ausländischen Vereine eigentlich dazu motivieren, mitzumachen - oder kamen die von sich aus?
Friedrich Fausten: „Die haben mitgemacht. Ich hatte damals 80, 90, 100 ausländische Vereine dabei – lateinamerikanische Vereine kamen dann ja zum Teil auch aus Stuttgart. Auch die Amerikaner waren mit einbezogen - es wohnen ja auch rund 1000 Amerikaner in Sindelfingen.“
Das Straßenfest hat sich im Laufe der Jahre verändert. Ist es so, wie es heute stattfindet, noch in Ihrem Geiste?
Friedrich Fausten: „Ehrlich gesagt habe ich 2022 das Straßenfest an drei Tagen erstmals richtig genießen können. Früher bin ich oft an den Ständen aufgehalten worden, habe es nie geschafft, einmal rumzukommen.“
Wenn Sie heute übers Straßenfest laufen – wie fühlen Sie sich dabei?
Friedrich Fausten: „Also erfrischend ist immer, wenn ich dort alte Freunde wiedertreffe. So auch Menschen, die längst wieder in ihre Heimat zurückgekehrt sind, aber zum Straßenfest zu Besuch nach Sindelfingen kommen. Bei so einem Wiedersehen freut man sich ja gegenseitig. So habe ich vergangenes Jahr einen alten Freund aus Mazedonien getroffen – mit dem bin ich dann, ehrlich gesagt, am Ende auch versumpft.“
Das Feld ist bestellt für die 45. Ausgabe des Internationalen Sindelfinger Straßenfestes, das der Gründervater Friedrich Fausten 1977 ins Leben rief. Damit Gastarbeiter und Eingesessene lernen, welche Süppchen die anderen kochen. Miteinander reden, essen, feiern, so lernt man sich kennen, und so wuchs die Stadt zusammen, als sie in den Boom-Jahren immer größer wurde.
Ehrenamtlich begannen die Straßenfest-Vereinsvorsitzende Andrea Santana, ihre Stellvertreter Rainer Frank und Mesut Özsönmez, Schatzmeisterin Marion Marino und Schriftführer Christian Kaufmann im Oktober mit den Planungen.
Über 200 000 Euro werden insgesamt für die Organisation und Durchführung umgesetzt, und ohne die Sponsoren – in erster Linie ist das Kulturamt zu nennen – wäre das nicht möglich. Jeder Tag braucht 30 Ordner, jede Nacht eine Nachtwache, der Strom verlegt sich nicht von selbst, der Rettungsdienst muss her, „und alleine das Müllentsorgen kostet mal so richtig was“, sagt Marion Marino.
In diesem Jahr gibt es erneut Neuerungen. Eine ganz wichtige: Der Wochenmarkt wird dieses Mal komplett in die Vaihinger Straße verlegt, wodurch auch der Obere Marktplatz frei wird und deshalb die Hauptbühne nach oben rückt. Früher standen hier professionelle Schausteller oder der Süßigkeitenwagen – aber irgendwie klaffte die Lücke Richtung Ziegelstraße. Und auch der Donnerstagsmarkt kommt deshalb dem Aufbau nicht in die Quere. Sechs weitere Bühnen gibt es auf dem Rathausvorplatz, an der Martinskirche, auf dem Schaffhauser Platz, dem Grünen Platz und auf dem Wettbachplatz.
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