Ulmer Schüler pflegen polnische Kindergräber auf dem Alten Friedhof in Böblingen
Böblingen. Auf dem Alten Friedhof, am westlichen Ende, stehen neben einem Mammutbaum 32 Kindergrabsteine. Einige sind aus rotem Sandstein und haben eine weiße Marmorplatte mit dem Namen und den Lebensdaten, andere sind eher grau. Aber alle Kinder haben polnische Namen und sind kurz nach dem Zweiten Weltkrieg geboren und entweder gleich oder wenig später gestorben. Nur ein Grabstein - etwas abseits und schwarz - erinnert an den fünfjährigen Karle Albrecht, der einem Stromschlag erlag. Dessen Verwandte wollten ihn nicht ins Familiengrab umbetten, als der Bereich von kaputten Steinen befreit wurde, weiß Erika Winograd. Sie war als Kind oft auf dem Friedhof und „unterhielt mich mit den Kindern“, während ihre Oma zum Grab des Opas ging. Sie erzählt, dass die roten Steine ursprünglich in drei Reihen standen, bei der Neugestaltung des Bereichs aber lockerer aufgestellt wurden. Ein Plattenweg mit einem Kreuz darin führt vom Hauptweg hin.
Dass man merkt, es handelt sich um Kindergräber, dafür sorgt die Lehrerin Ewa Weidmann. Sie setzte kleine Engelchen auf die Grabsteine, legte bemalte Steine dazu und pflanzte Mini-Bäumchen oder Blumen daneben. „Andere Besucher brachten Spielsachen“, sagt sie und zeigt auf ausrangierte Matchbox-Autos. Auch den kleinen Teddybär kennt sie: „Der sitzt schon drei Jahre hier und wird vom Regen immer kleiner.“
Dessen schmutzige Füße schrubbte nun ein Mädchen aus Ulm. Sie war mit einer Gruppe aus der Polnischen Sprachschule Ulm-Leipheim gekommen, die zum zweiten Mal vor Allerheiligen das Areal verschönern wollte. 2023 war Lehrerin Aleksandra Pak mit Jugendlichen hier. Die Schule wurde vor zwei Jahren vom Deutsch-Polnischen Verein gegründet für Kinder von 4 bis 14 Jahren. Pater Henryk Sitko, der in Böblingen wohnt und zusammen mit Kollegen die polnische Gemeinde in Stuttgart und Umgebung betreut, begrüßte die Gäste und betete mit ihnen für die Toten, dass es ihnen gut gehe.
Dann begaben sich Kinder und Erwachsene an die Arbeit. Sie hatten Plastikhandschuhe, Bürsten und Spülmittel mitgebracht und säuberten die Steine. Eltern und Lehrerin rupften das Unkraut drumherum aus und harkten das Laub weg. Auch die Grabstelle von Karle Albrecht wurde verschönert. Ewa Weidmann hatte neue Steine bemalt und Lampen dekoriert.
Ein polnisches Lager auf dem Flugfeld
Auf die Frage, wer die polnischen Kinder und ihre Eltern waren, verweist Kulturamtsleiter Sven Reisch auf die Homepage der Stadt. Dort ist zu lesen, dass es auf dem Flugfeld ein russisches und ein kleineres Polenlager gab. Die Menschen waren zur Zwangsarbeit verschleppt worden oder Insassen von Konzentrationslagern gewesen, sogenannte Displaced People, die nach dem Krieg der UNO unterstellt wurden. Die Lebensbedingungen waren nicht gut, obwohl sie ärztliche Behandlung beanspruchen konnten. „Die Frauen waren sicherlich unterernährt und die Kinder starben an Tuberkulose“, vermutet Erika Winograd.
Eigentlich wollten die Lehrerinnen das Thema mit den Schülern nach dem Mittagessen im Café des Alten Amtsgerichts noch künstlerisch bearbeiten. Doch die Kinder waren zum Teil schon um 5.30 Uhr aufgestanden, um nach Böblingen zu fahren. Nach Pizza und Schokoladenkuchen fielen ihnen fast die Augen zu. Und so dampften sie lieber mit einem Zug wieder nach Ulm zurück.