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Sindelfingen: Tübinger Medienwissenschaftler Dr. Ulrich Hägele spricht im Stadtmuseum über Pop- und Rockmusik in den 1970er Jahren

Von Deep Purple bis zu Baobab

Dr. Ulrich Hägele hat Tausende von Schallplatten in seiner Sammlung. Aber das Album „Live im Sudhaus“, das 1978 mit einem Beitrag der Sindelfinger Gruppe Baobab von der Interessengemeinschaft Jazz in Stuttgart herausgebracht wurde, war für den Tübinger Medienwissenschaftler eine Entdeckung.
Von unserem Redaktionsmitglied Peter Bausch

Helmut Kristmann, der im Februar 1978 als Percussionist von Baobab bei den Aufnahmen im Stuttgarter Sudhaus spielte, hat das Album mit zwei Vinyl-Platten ins Stadtmuseum Sindelfingen mitgebracht, in dem bis zum 15. April die Ausstellung „Arthur, rück die Schlüssel raus“ zu sehen ist. Als Begleitprogramm der Schau über den Aufbruch und Wandel in den 1970er Jahren in Sindelfingen hat Museumsleiterin Illja Widmann den Vortrag „Von der Liebe zur Platte“ mit Ulrich Hägele organisiert und Besucher aufgerufen, eigene Platten mitzubringen.

Anfang 1970 gründen der Saxophonist, Klarinettist und Flötist Karl-Heinz Huschka, der Bassist Michael Radtke und der Keyboarder Joachim Pflieger die Formation, die von der IG Jazz zu einer der interessantesten Gruppen des Rock-Jazz in der Stuttgarter Szene gezählt wird. Auf dem Album ist die Eigenkomposition mit dem Titel „Keine Nummer“ verewigt, die Schlagzeuger Dieter Kauffmann, Percussionist Helmut Kristmann, Trompeter Uwe Zaiser und Sängerin Beatrice Mathé zelebrieren.

Joachim Pflieger, Helmut Kristmann, Michael Radtke und Karl-Heinz Huschka, der 1984 auf der Grünen-Liste in den Sindelfinger Gemeinderat gewählt wird, gehörten 1979 zu den Gründungsmitgliedern der Sindelfinger Weihnachtssession, in der damals bei der ersten Ausgabe im Foyer der Stadtbibliothek die Songs von Jimi Hendrix, Janis Joplin, den Rolling Stones oder auch der Beatles nachgespielt wurden.

Ulrich Hägele hat zwar von der ersten Session keine Videos, bringt aber ins Stadtmuseum als Dokumentation einen Bericht des Südfunk-Fernsehens über das Konzert von Deep Purple 1972 in der Sporthalle Böblingen mit. „Unglaublich, welche Arroganz der Kommentator an den Tag legt“, empört sich der Tübinger Medienwissenschaftler: „Das müssen alte Nazis gewesen sein, die mit der neuen Pop-Kultur überhaupt nichts anfangen konnten.“

Bilder gibt es aber von den Meilensteinen in den 1970er Jahren, von den Who, die 1975 zwei Konzerte in Sindelfingen gegeben haben, von Jimi Hendrix, den die Sindelfinger Pit Bäuerle und Manfred Zöller 1969 in der Liederhalle Stuttgart gesehen haben. „Das war Gänsehaut pur, als die amerikanischen Soldaten aufgestanden sind, obwohl Jimi Hendrix die US-Nationalhymne wie beim Woodstock-Festival auf der Gitarre zerfetzte“ erinnert sich der ehemalige Paletti-Wirt, der beim Auszug aus dem Oktogon Hunderte von Dokumenten dem Stadtmuseum gegeben hatte und damit quasi zum Paten für die derzeitige Ausstellung geworden ist.

Ulrich Hägele hat Dutzende von Statistiken über die Pop- und Rock-Szene der 1970er Jahre auf Lager. Die meistverkaufte Platte in dieser Zeit war „Tapestry“ von Carole King vor „Bridge Over Troubled Water“ von Simon und Garfunkel. Zu den traurigsten Platten zählt der Medienwissenschaftler „Let it Be“, das letzte Album der Beatles, „Pearl“ von Janis Joplin, die nur wenige Tage nach der Aufnahme des „Mercedes-Benz“-Songs starb, „L.A. Woman“ von den Doors mit Jim Morrison, der auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise begraben ist, aber auch Jacques Brel. „Wir wussten nicht warum, aber der Belgier mit seinen französischen Chansons war einer unserer Helden.“

Zu den innovativsten Platten zählt Ulrich Hägele die deutsche Gruppe Can, die 1971 mit „Spoon“ die Erkennungsmelodie der dreiteiligen Fernsehkrimi-Serie „Das Messer“ von Francis Durbridge komponiert hatten, Pink Floyd mit dem Album „Meddle“, aber auch die deutsche Band Tangerine Dream. „Das konnte man nur alleine hören oder war sehr schnell allein, wenn man die Platte aufgelegt hatte“, sagt Ulrich Hägele über das Album „Zeit“.

Info

In der Ausstellung „Arthur, rück die Schlüssel raus“ geht Ingo Sika am Donnerstag, 15. März, um 20 Uhr auf eine Zeitreise in die 1970er Jahre und liest unter dem Motto „Wie man damals die Welt sah“ aus der Lokalpresse und vor allem aus der Sindelfinger Zeitung. Zur Finissage am Sonntag, 15. April, um 15 Uhr moderiert SZ/BZ-Redaktionsmitglied Peter Bausch im Stadtmuseum an der Langen Straße eine Podiumsdiskussion mit Zeitzeugen zum Thema „Jugend in Bewegung – bewegte Jugend“.