Viel Platz und Schlamm: So fühlen sich Schweine sauwohl.
Es klingt unglaublich, ist aber wahr: Die Rinder von Thomas Mayer gehen freiwillig in den Tod. Korrekterweise muss man sagen, dass sie freiwillig in die Mobile Schlachteinheit (MSE) gehen, die Thomas Mayer und Sandra Kopf in ihrer Freizeit entwickelt haben. Das Prinzip klingt ganz einfach: Das Tier frisst arglos an einem so genannten Fressgitter, dann kommt der Metzger und verpasst ihm einen Bolzenschuss. Per Seilwinde wird das auf einer Lade liegende Rind in die MSE gezogen, die man sich wie einen technisch hoch ausgerüsteten Anhänger vorstellen muss. Dort blutet das Rind nach einem gezielten Stich aus. Anschließend kommt es dann in einen Schlachthof. Praktisch war die Verwirklichung des Projekts nicht ganz so einfach. Sieben Jahre dauerte es von den ersten Überlegungen bis zum Prototyp. Dafür genügt die MSE nun höchsten EU-Ansprüchen und wurde 2019 mit Landestierschutzpreis des Landes ausgezeichnet. „Der Bauer übernimmt die Verantwortung für sein Tier bis zum Schluss“, sagt Sandra Kopf aus Fluorn-Winzeln im Landkreis Rottweil. Wenn das Rind nicht freiwillig an den Fresstrog geht, werde es an diesem Tag nicht geschlachtet. „Schlachtung mit Achtung“ heißt ihre Interessengemeinschaft mit Thomas Mayer. Um die 70 000 Euro kostet eine MSE, die sich idealerweise mehrere Landwirte teilen. Zwei Exemplare sind verkauft, zwei weitere in Bestellung. „Jedes Tier, das nicht lebend transportiert wird, ist ein Erfolg“, meint Sandra Kopf, 51. Mit Mayer tüftelt die Industriekauffrau jetzt an einer MSE für Schweine.
Die Initiative, die sich Anfang der 1990er Jahre in Überlingen gegründet hat, mag manchen naiv vorgekommen sein – tatsächlich hat sie sich als sehr vorausschauend erwiesen: Denn nur dank des Engagements der Schlachthof-Initiative Überlingen gibt es in der Stadt am Bodensee noch immer einen kleinen, aber sehr feinen Schlachthof. Dort werden nur Tiere aus artgerechter Haltung geschlachtet – und das so schonend wie möglich. „Es geht ums Tierwohl“, sagt der stellvertretende Geschäftsführer Mathias Schultz, bei dem diese Vokabel keine Phrase ist. Das fängt mit der Menge an: Es gibt nur drei Schlachttage pro Woche. Und an denen kommen insgesamt 40 Rinder und rund 110 Schweine unters Messer. Und es geht mit der Atmosphäre weiter: Die Tiere, die kurze Anreisewege haben, werden am Abend zuvor gebracht und können sich in einem Stall an die neue Umgebung gewöhnen. Am nächsten Tag werden sie, eins nach dem anderen, in die Schlachtbox geführt. Mit Bolzenschuss (Rind) oder Elektrozange (Schwein) werden die Tiere betäubt, und schließlich durch einen gezielten Stich ausgeblutet. „Alles ist ganz friedlich“, sagt Mathias Schultz. Vier Mitarbeiter in Teilzeit beschäftigt der Überlinger Schlachthof, alle vier sind Metzger, die mindestens einmal im Jahr zum Thema tierschonende Schlachtung geschult werden, und die die Tiere im angrenzenden Zerlegebetrieb selbst weiterverarbeiten. Wenn man die entsprechende Philosophie und die passenden Mitarbeiter habe, könne jeder Schlachthof so arbeiten, meint Mathias Schultz – wohlwissend, dass die Philosophie überwiegend dem Geld anhängt. Pro 100 Gramm schlagen die Überlinger 30 Cent auf Wurst und Fleisch auf. Das will nicht jeder bezahlen.
Leicht ist die Entscheidung nicht gewesen: Erst mal musste sich Werner Aberle, 59, eingestehen, dass es nicht weiter gehen kann wie bisher. Aber ob sein neues Konzept aufgeht, darauf konnte er auch nicht wetten. Heute ist klar: Für den Ludwigsburger hätte es nicht besser laufen können. Früher also war es so, dass Werner Aberle (Foto) 700 Schweine mästete, von denen er den allergrößten Teil an einen großen Schlachtbetrieb verkaufte. Doch der kleine Metzgermeister konnte nicht mithalten mit den Preisen der großen Produzenten. Er zahlte drauf, geriet in die roten Zahlen – und beschloss vor vier Jahren: „Das mache ich nicht mehr mit.“ Heute hält Werner Aberle noch 200 Schweine, er schlachtet sie selbst, in seinem eigenen kleinen Schlachthaus, das er nach EU-Vorgaben in einer ehemaligen Garage eingerichtet hat. Zu kaufen gibt es seine Wurst- und Fleischwaren im Hofladen, den er mit seiner Frau Petra betreibt. „Das war der richtige Schritt.“ Einmal pro Woche schlachtet er jeweils zehn Schweine. Am Abend zuvor laufen sie von ihrem stationären Stall in einen mobilen, den Aberle dann zehn Meter über den Hof fährt und rückwärts vor dem Schlachthaus parkt. Auf frischem Streu und an frischer Luft verbringen sie dort die Nacht. Am nächsten Morgen wird ein Tier nach dem anderen zum Schlachten geholt. Ein Griff mit der Elektrozange, ein Stich in die Halsschlagader, fertig. „Ruhig, sachlich, ohne Stress“, formuliert es Aberle, der weiß: Schadet er dem Tier, schadet er sich selbst. „Wir Kleinen bürgen persönlich für Qualität“, sagt er. Wenn die nicht mehr stimmt, könnten die Kunden gleich im Discounter kaufen.