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Sabine Liedtke und Rüdiger Streckert vom Zeittausch-Verein in Sindelfingen bringen Menschen dazu, sich für andere einzusetzen – SZ/BZ-Podcast „Willi und Dödel“

„Zeit ist eine Währung, über die jeder verfügt“

Von Dirk Hamann und Jürgen Wegner
Es gibt auch eine Zeit für Luftballons: Der Zeittausch-Verein feierte vor dem Haus des Initiators Wolfgang Knote auf dem Wettbachplatz das zehnjährige Jubiläum.Bild: z

Es gibt auch eine Zeit für Luftballons: Der Zeittausch-Verein feierte vor dem Haus des Initiators Wolfgang Knote auf dem Wettbachplatz das zehnjährige Jubiläum.Bild: z

Kreis Böblingen.Zeit: Prädikat besonders wertvoll. Sie zu schenken, ist großzügig. Sie zu teilen kostbar. In Sindelfingen, Böblingen und Bondorf gibt es Zeittausch-Vereine. Die Sindelfinger Vorsitzende Sabine Liedtke und Rüdiger Streckert als Mann der ersten Stunde verraten im kostenlosen SZ/BZ-Podcast „Willi und Dödel“, was dahinter steckt. Hier ein Auszug - und über diesen Link geht es direkt zum Podcast.

Zeittausch – was ist das?

Rüdiger Streckert: „Wir tauschen in der Tat Zeit. Das ist eine Währung, über die jeder Mensch verfügt. Inspiriert durch Tauschsysteme, die in den 30er Jahren aus Amerika kamen, hat Wolfgang Knote im Jahr 2008 gedacht: So eine Initiative basierend auf sozialem Engagement möchte ich auch in Sindelfingen gründen.“

Ist man da zunächst auch skeptisch? Es gibt den Satz 'wer tauschen will, will auch betrügen'.

Rüdiger Streckert: „Das ist ein guter Aspekt. Es war eine Anforderung an die Organisation des Vereins, genau das Betrügen, das einseitige Nehmen aber nicht Geben, möglichst in Grenzen zu halten.“

Wie erzeugt man dieses Gleichgewicht?

Rüdiger Streckert: „Eine Stunde ist eine Stunde. Genau genommen geht es um Arbeitszeit für kleine Dienstleistungen. Ich helfe jemanden, der hilft wieder einem anderen, so wird ein Kreislauf erzeugt. Zeit ist genau gleich wert, egal, was getauscht wird. Die Stunde eines Akademikers zählt genau wie die von jemandem, der beim Rasenmähen hilft.“

Wie sichert man das ab?

Rüdiger Streckert: „Es stellte sich schnell nach der Vereinsgründung heraus: Wenn jeder mit jedem tauscht, bekommen wir ein Problem der Dokumentation. Müssen wir aufschreiben, wer mit wem getauscht hat? Über ein Datenbank, die komplementäre Währungssystem verwalten kann, lösten wir das. Sprich: Ich kann eine Währung definieren, Kontakte und Flüsse aufzeichnen und verwalten. Die manuelle Arbeit ist damit dem Verein genommen, jedes Mitglied verwaltet sein Konto selbst und führt seine Geschäfte eigenständig.“

Wie nennt sich diese Währung?

Sabine Liedtke: „Bezahlt wird bei uns mit Talenten. Für zehn Minuten gibt es grob gerechnet ein Talent, für eine Stunde also sechs Talente.“

Werden Zinsen fällig, wenn ich in die Miesen rutsche – also werden dann beispielsweise aus einer Stunde 70 Minuten?

Rüdiger Streckert: „Einige Verein manchen das, wir nicht. Aber Fakt ist, man kann in die Miesen rutschen. Dann muss ich reagieren. Derzeit haben wir über 240 Anfragen oder Angebote in der Datenbank. Bin ich im Minus, muss ich mich anbieten.“

Was ist denn da alles dabei?

Sabine Liedtke: „Ganz unterschiedlich. Zum Beispiel die Fahrt zur Milchtankstelle, Dias einscannen, die Leihe in der Bibliothek, Kindergeburtstage vorbereiten, Fernwartung am PC, Texte Korrektur lesen oder Sütterlin übersetzen.“

Was ist dann passiert?

Sabine Liedtke: „Eine Dame hatte im Erbe ihrer verstorbenen Mutter Briefe in altdeutscher Schrift gefunden. Sie wusste nicht, was dort drin stand. Es stellte sich heraus, dass der Großvater der verstorbenen Mutter im Krieg Liebesbriefe an seine spätere Frau geschrieben hatte.“

Diese Zeit ist definitiv besonders kostbar. Kann man in Solchen Fälle bei der Bezahlung einen Nachschlag einfordern?

Sabine Liedtke: „Die Dame war so dankbar, die beiden sind noch immer in Kontakt miteinander.“

Rüdiger Streckert: „Ohne diesen Verein hätte ich all diese lieben Menschen nicht kennen gelernt. Das ist ein wesentlicher Aspekt und ein Gewinn, den ich unabhängig von den Talenten für mich gewonnen habe.“

Gibt es auch das typische Vereinsleben darüber hinaus?

Sabine Liedtke: „Ja, wir treffen uns einmal im Monat zum Stammtisch, dort gibt es Vorträge und ähnliches. Es ist wichtig, zusammenzukommen.“

Und wer früher geht, rutscht ins Minus.

Sabine Liedtke: „Das passiert nicht. Unsere Mitglieder bleiben gerne sitzen, meistens gibt es auch etwas Kulinarisches. Auch das ist ein Tauschgeschäft: Wer für den Stammtisch etwas zubereitet, bekommt dafür Talente gutgeschrieben.“

Weitere Informationen zum Sindelfinger Verein und den Ablegern in Böblingen und Bondorf, Kontaktmöglichkeiten und Angebote gibt es auf www.zeittausch-im-kreis.de