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Sindelfingen: Der Krankenpflegeverein leistet von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet wichtige Arbeit

„Der rote Schirm für die Bürger“

Seit 1994 gibt es die gesetzliche Pflegeversicherung. Doch die gesetzliche Vorsorge hat ihre Grenzen. Was im Pflegealltag oft fehlt, sind Zeit und Wärme für die kranken Menschen. In Sindelfingen sorgt dafür der Krankenpflegeverein. „Wir sind dort aktiv, wo der Mensch mehr braucht als nur ein reguliertes Leistungspensum“, sagt der Vorsitzende Bernhard Weißer.
Von unserem Redakteur Tim Schweiker

Über die Geschichte des Vereins und den Wandel der Anforderungen sprach die SZ/BZ mit Bernhard Weißer, mit dessen Stellvertreter Peter Michael Bittighofer und mit Schriftführer Joachim Seidel.

Seit wann gibt es den Krankenpflegeverein Sindelfingen?

Bernhard Weißer: „Seit 1903. Damals haben Sindelfinger Unternehmer und Honoratioren, die Stadt und die evangelische Kirchengemeinde den Verein gegründet. Seine Aufgabe war damals, eine Gemeindeschwester der Paulinenpflege anzustellen, die für die Kranken in Sindelfingen zuständig war.“

Was hat sich seit diesen Anfängen verändert?

Bernhard Weißer: „Nach dem Zweiten Weltkrieg ist die Stadt gewaltig gewachsen, die Menschen wurden immer älter und haben damit natürlich auch die Pflege immer häufiger beansprucht. Der Krankenpflegeverein hatte bis zu drei Schwestern angestellt. 1978 wurde die Sozialstation gegründet. Mit der Pflegeversicherung von 1995 hat sich die Situation erneut verändert. Die Sozialstation wurde zur Ökumenischen Sozialstation entwickelt, die Pflegeleistungen immer weiter ausgebaut. Zudem haben sich die Voraussetzungen gewandelt: Durch die steigende Anzahl von Single-Haushalten ist häusliche Pflege oft gar nicht möglich. Früher war der Krankenpflegeverein der erste Ansprechpartner, heute agiert der Krankenpflegeverein eher im Hintergrund, hat aber nach wie vor eine sehr wichtige Rolle.“

Wie sieht diese Rolle aus?

Peter Michael Bittighofer: „Der einstige Pflegeverein mit persönlichen Hilfeleistungen hat sich in einen Förderverein verwandelt. Wir leisten keine direkten Hilfen mehr bei den Menschen zu Hause, sondern verbessern das bestehende Grundsystem und unterstützen soziale Institutionen und Ideen in unserer Stadt. Damit rücken wir in der direkten Wahrnehmung der Bevölkerung leider etwas in den Hintergrund, obwohl wir nach wie vor für die Kranken und Pflegebedürftigen sehr aktiv sind.“

Zum Beispiel?

Peter Michael Bittighofer: „Wir unterstützen mit etwa einem Drittel unseres Etats die Sozialstation - vom seelsorgerischen Gespräch bis hin zu Hilfen für die tägliche Arbeit. Wir finanzieren Fahrzeuge, zum Beispiel für die Tagespflege und unterstützen die Informations-, Anlauf- und Vermittlungsstelle (IAV) Sindelfingen/Magstadt für hilfs- und pflegebedürftige Menschen und deren Angehörige. Die IAV ist ja kürzlich in neue Räume am Corbeil-Essonnes-Platz umgezogen und ist damit deutlich besser in der Öffentlichkeit wahrnehmbar. Diesen Umzug haben wir finanziert, den Mitarbeiterinnen haben wir ein Dienstfahrzeug zur Verfügung gestellt. Insgesamt tragen wir alle Sachkosten der IAV-Stelle.“

Bernhard Weißer: „Ein echtes Leuchtturmprojekt ist das Betreute Wohnen in der Seemühlestraße. Hier haben wir die Tagespflege mitfinanziert und drei Fahrzeuge finanziert. Zusammenfassend könnte man sagen: Wir sind dort aktiv, wo der Mensch mehr braucht als nur ein reguliertes Leistungspensum. Wir ermöglichen tröstende Gespräche abseits der gesetzlichen Versorgung, unabhängige Beratung für Hilfsbedürftige und deren Angehörige, Finanzspritzen für die Anschaffung von Technik oder die Ausstattung von Räumen. Nicht umsonst ist unser Leitsatz passend zu unserem Vereinslogo: der rote Schirm für Sindelfinger Bürger. Wir geben den Menschen das, was der Staat kaum bedienen kann: Würde, Wärme, Menschlichkeit.“

Wie finanziert der Krankenpflegeverein solche Projekte?

Bernhard Weißer: „Unsere derzeit 1100 Mitglieder – in früheren Zeiten waren es einmal 3000 – bezahlen einen Beitrag von 20 Euro im Jahr. Das ist der Grundstock. Dazu kommen Spenden und nicht zuletzt Erbschaften, zum Teil in nicht unbeträchtlicher Höhe. Dafür sind wir dankbar, denn das alles erbringen unsere Mitglieder für alle Bürger in dieser Stadt.“

Wir freuen uns über jede Art der Unterstützung

Joachim Seidel: „Wir machen aber keinen Hehl daraus, dass wir gerne mehr Mitglieder hätten – auch solche, die sich aktiv einbringen und mitarbeiten. Man kann den Krankenpflegeverein aber natürlich auch durch Spenden oder Mitarbeit an einzelnen Projekten unterstützen. Wir freuen uns über jede Art der Unterstützung.“

Was steht als nächstes Projekt an?

Joachim Seidel: „Wir wollen demnächst die Notfalldose nicht nur kostenlos an alle unsere Mitglieder verteilen, sondern in der ganzen Stadt bekannt machen. Der Hintergrund: Immer mehr Menschen haben zu Hause einen Notfall- und Impfpass, einen Medikamentenplan, eine Patientenverfügung und vieles mehr. Nur ist es für Retter kaum möglich herauszufinden, wo diese Daten in der Wohnung aufbewahrt werden. Die Lösung ist der Kühlschrank. Die Notfalldaten kommen in die Notfalldose und die steht in der Kühlschranktür. Nun haben sie einen festen Ort und können in jedem Haushalt einfach gefunden werden. Eine ganz einfache, sehr wirkungsvolle Idee, die wir jetzt in Sindelfingen umsetzen wollen.“

SZ/BZ-Redakteur Tim Schweiker ist beeindruckt vom ehrenamtlichen Engagement im Krankenpflegeverein.

Info

Einer Teilauflage der SZ/BZ liegt heute eine Informationsbroschüre des Krankenpflegevereins Sindelfingen bei. Weitere Informationen gibt es auch unter der Telefonnummer 07031/86 78 10, unter kontakt@krankenpflegeverein.org per E-Mail und www.krankenpflegeverein.org im Internet.