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Streit um Corona-Soforthilfen

SPD attackiert Wirtschaftsministerin

Es geht um die Rückforderungen des Landes durch die L-Bank gegenüber Selbständigen und Kleinunternehmen.
Von Karlheinz Reichert
Der Böblinger SPD-Landtagsabgeordnete Florian Wahl zum Thema Corona-Soforthilfen: „Es ist doch klar, dass das Land auf alle rechtswidrigen Rückforderungen verzichten muss.“

Der Böblinger SPD-Landtagsabgeordnete Florian Wahl zum Thema Corona-Soforthilfen: „Es ist doch klar, dass das Land auf alle rechtswidrigen Rückforderungen verzichten muss.“

Bild: Reichert

KREIS BÖBLINGEN/STUTTGART. „Wirtschaftsministerin Hoffmeister-Kraut will eine rechtswidrige Praxis fortsetzen, obwohl die Landesregierung in Musterprozessen durch alle Instanzen verloren hat“, schimpft der Böblinger SPD-Landtagsabgeordnete Florian Wahl. Es geht um die Rückforderungen von Corona-Soforthilfen des Landes durch die L-Bank gegenüber Selbstständigen und Kleinunternehmen.

Ab dem 16. März 2020 wurde bundesweit der erste sogenannte Lockdown verhängt: Zahlreiche Betriebe und andere Einrichtungen mussten wegen der Corona-Pandemie schließen. Zur Unterstützung der betroffenen Unternehmen aus Mitteln des Landeshaushalts erließ das Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg am 22. März 2020 die „Richtlinie für die Unterstützung der von der Corona-Pandemie geschädigten Soloselbstständigen, Unternehmen und Angehörigen der Freien Berufen (Soforthilfe Corona)“.

Mit heißer Nadel gestrickt

Bereits drei Tage später, am 25. März, konnten die Betroffenen bei der L-Bank eine Soforthilfe beantragen, gestaffelt nach der Zahl der Beschäftigten gab es bis zu 9000, 15 000 oder 30 000 Euro. Das Formular war wohl mit heißer Nadel gestrickt worden. Doch daraus will Florian Wahl keinen Vorwurf ableiten. Im Gegenteil: „Es war richtig, schnell zu handeln und der Wirtschaft zu helfen, bis dann ab dem 8. April möglich war, Hilfen des Bundes zu beantragen. Das Landeswirtschaftsministerium hat da seine Flexibilität bewiesen“, lobt der Böblinger Oppositionspolitiker.

Diese Flexibilität fordert er jetzt, wo es um die Rückzahlung geht, ebenfalls ein. Wer bis zum 7. April 2020 Corona-Soforthilfe des Landes beantragte, musste zwar eine Prognose zu seinem in den nächsten drei Monaten befürchteten Liquiditätsengpass abgeben und es gab in den Bewilligungsbescheiden auch Hinweise, wie die Hilfen verwendet werden dürfen, doch verlangte die L-Bank nun – entsprechend einer online zur Verfügung gestellten Berechnungshilfe des Wirtschaftsministeriums – eine genaue Gegenüberstellung der betrieblichen Einnahmen und Ausgaben für die drei Monate, wobei es letztendlich nicht auf die Ergebnisse der einzelnen Monate sondern auf das Gesamtergebnis ankam.

L-Bank weist Widersprüche zurück

Ein Friseur, ein Hotel, ein IT-Unternehmen und ein Hersteller von Pflegeprodukten, die die Coronahilfen nicht von sich aus zurückbezahlt hatten, beteiligten sich im Oktober 2021 am so genannten Rückmeldeverfahren. Aufgrund der dort gemachten Angaben erließ die L-Bank im August 2022 Widerrufs- und Erstattungsbescheide, mit denen sie die Finanzhilfen ganz oder teilweise zurückforderte. Die Widersprüche dagegen wies die L-Bank zurück.

Dagegen erhoben die vier Betroffenen Klagen bei den für sie zuständigen Verwaltungsgerichten in Stuttgart, Karlsruhe und Freiburg und bekamen Recht. Die L-Bank legte dagegen Berufung ein. Der Baden-Württembergische Verwaltungsgerichtshof (VGH) fasste die vier Fälle zu einer Fallgruppe zusammen und entschied nun in einem Musterprozess, dass in den Bescheiden der L-Bank „nicht ausreichend erkennbar bestimmt“ war, dass eine saldierende Gegenüberstellung von Einnahmen und Ausgaben über drei Monate vorzunehmen sein würde. Das Quartett muss seine Hilfen demnach nicht zurückerstatten.

Ein bisschen anders gelagert sind die Fälle, die auf Anträge vom 8. April 2020 an zurückgehen. Die Anträge auf Hilfen des Bundes wurden zwar auch über die L-Bank abgewickelt, doch auf der Basis eines anderen Formulars. In dieser zweiten Fallgruppe hatten die Verwaltungsgerichte der L-Bank Recht gegeben. Im Fall eines Fahrschulbetreibers bestätigte der VGH das Urteil des Verwaltungsgerichts. Bei einem Winzer, der im Berufungsverfahren den Liquiditätsengpass belegte, entschied der VGH für den Kläger. Die L-Bank als Beklagte hatte gefordert, die Belege dürften nicht berücksichtigt werden, da sie verspätet vorgelegt worden seien.

Mit Blick auf die erste Fallgruppe und den Winzer sagt Florian Wahl: „Es ist einfach nicht in Ordnung, wenn nachträglich die Bedingungen geändert werden, um die Unterstützung zurückzuverlangen. Der Bürger muss sich auf den Staat verlassen können und genau so sieht das der 14. Senat des VGH mit seinen Urteilen auch.“

Forderung nach Aussetzung der Verfahren

Im Wirtschaftsausschuss des Landtags, dem auch Florian Wahl angehört, gingen der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD, Dr. Boris Weirauch, und der Weil der Städter FDP-Landtagsabgeordnete Hans Dieter Scheerer – beides Juristen – Wirtschaftsministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) hart an. Sie forderten die sofortige Aussetzung der Verfahren – nach Angaben des VGH sind noch 1400 Klagen bei den Verwaltungsgerichten und 5500 Widersprüche bei der L-Bank anhängig – und wollten außerdem wissen, ob das Wirtschaftsministerium all denen das Geld zurückerstatten werde, die im guten Glauben, dass die Forderungen der L-Bank rechtens sind, den Rückforderungen nachgekommen seien, bei denen sich die Dinge durch die VGH-Urteile nun aber anders darstellen.

Die Ministerin verwies in der Sitzung darauf, dass die schriftliche Urteilsbegründung noch nicht vorliege. Auch der SZ/BZ teilte das Wirtschaftsministerium nach der Sitzung auf Anfrage mit: „Wir bitten Sie um Verständnis, dass wir heute noch keine Ausführungen zu etwaigen Bewertungen oder Konsequenzen in Bezug auf die vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg im Zusammenhang mit der Soforthilfe Corona getroffenen Entscheidungen machen können. Zunächst müssen die Entscheidungsgründe abgewartet werden.“

In der Ausschusssitzung hatte Dr. Hoffmeister-Kraut noch darauf hingewiesen, dass ihr Ministerium nur in den Fällen tätig werden könne, die dem Ministerium bekannt sei. „Warum“, so fragt Florian Wahl, „hat das Wirtschaftsministerium dann nicht auf seiner Homepage einen Link oder ein Portal eingerichtet, um der Wirtschaft die Anmeldung zu erleichtern?“ Ein solches Portal hat nun die SPD-Landtagsfraktion eingerichtet. Florian Wahl mutmaßt: „Die Unternehmen, die bis 7. April 2020 die Corona-Soforthilfe beantragt haben und mit Rückforderungen konfrontiert wurden, haben nun das Glück, dass am 8. März die Landtagswahl stattfindet. Das CDU-geführte Wirtschaftsministerium würde sonst das ganze Thema wohl unter den Tisch fallen lassen.“ Landesweit gehe es um 62 000 Fälle und 430 Millionen Euro.

Info: Das Portal „Corona-Rückforderungen stoppen“ der SPD-Landtagsfraktion ist unter www.spd-landtag-bw.de/rechtswidrige-corona-rueckforderungen-stoppen/ eingerichtet. Dr. Weirauch und Florian Wahl erklären dazu unisono: „Wir wollen Betroffene anhören, um ihnen noch besser zu ihrem Recht verhelfen zu können. Egal ob geklagt wurde oder nicht, egal ob die Rückzahlung noch aussteht oder schon geleistet wurde.“