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Körperspende

Wie Körperspender die Medizin voranbringen

Viele finden es befremdlich, den Körper nach dem Tod der Medizin zu spenden. Doch ohne Körperspender kein Fortschritt. Was passiert in der Anatomie-Abteilung?
Von May-Britt Winkler
Ein präparierter Körper in der Anatomie der Universität Gießen.
 Foto: May-Britt Winkler/May-Br..

Ein präparierter Körper in der Anatomie der Universität Gießen. Foto: May-Britt Winkler/May-Br..

** Gießen** - Es liegt ein beißender Geruch in der Luft des hellen, aber kühlen Präpariersaals. In den Ecken stehen Skelette, an den Wänden hängt anatomisches Anschauungsmaterial, und auf Metalltischen liegen Leichname, eingewickelt in blaue Plastikfolien. Wir befinden uns in der Anatomie der Universität Gießen, und was einem Zartbesaiteten für Tage den Atem und den Appetit rauben könnte, ist für Dr. Christina Nassenstein Alltag. Die 45-jährige Wissenschaftlerin und Dozentin riecht das Formalin, mit dem Körperspender bei ihrem Eintreffen behandelt werden, kaum noch.

Jeder Student lernt zwei Semester lang jede Faser des Körpers kennen

Körperspende, das klingt für die meisten befremdlich, für viele schaurig oder gar anstößig. Dabei ist sie die Grundlage von allem, was mit Leben, Sterben und Gesundheit zu tun hat. Ohne Körperspender, die ihre „Hülle“ nach ihrem Ableben der Wissenschaft zur Verfügung stellen, gäbe es keine medizinische Entwicklung; keine Operation könnte invasiv durchgeführt und kein Knochenbruch ohne Folgeschäden gerichtet werden. So aber lernt jeder Medizinstudent zwei Semester an einem echten Körper jede Faser kennen. So kann an Geweben geforscht und dadurch medizinischer Fortschritt generiert werden. Und so kann beispielsweise ein Chirurg eine neue Operationsmethode trainieren.

Jede medizinische Hochschule braucht Körperspenden

Trotz dieser guten Tat für die Allgemeinheit will eine Körperspende wohl überlegt sein. In Gießen darf man sich erst ab 60 Jahren registrieren lassen, aber das regelt jede Universität individuell, ebenso wie die Kosten. Während es in Gießen kostenlos ist, berechnen manche Institute Ausgaben für die spätere Kremierung und Beisetzung. Gebraucht werden Körperspenden an jeder medizinischen Hochschule, allerdings sind vor allem große Unis derart gut mit Spenden versorgt, dass gar nicht jeder kann, der will.

Doch wie kommt es, dass Menschen überhaupt diesen Weg für die Zeit nach dem Tod wählen? „Die meisten möchten ihren Körper noch einem Zweck zuführen. Viele haben selbst verschiedene Krankheiten gehabt und wissen, wie wichtig es für den medizinischen Erfolg ist, dass geübt werden muss. Manche Spender kommen aus medizinischen Berufen und spenden aus vollem Herzen. Es gibt aber auch Alleinstehende, die keinen Kontakt zur Familie haben und für sich planen möchten, oder Leute, bei denen finanzielle Gründe eine Rolle spielen, und die ihre Familien nicht mit Bestattungskosten belasten wollen“, erklärt Christina Nassenstein.

Der Körper muss schnellstmöglich gekühlt werden

Wichtig ist vor allem, solch eine Entscheidung mit nahestehenden Menschen abzusprechen, denn nur, wenn die Hinterbliebenen den Wunsch des Verstorbenen kennen und akzeptieren, informieren sie auch nach dessen Ableben die Universität. Das muss innerhalb von 24 Stunden nach Eintreten des Todes passieren. Ein Bestattungsinstitut bringt den Toten ins gewünschte anatomische Institut, wo zunächst eine zweite Leichenschau durch einen Rechtsmediziner durchgeführt wird, um Fremdeinwirken auszuschließen. Das ist wichtig, denn am Ende des Weges als Körperspender könnte das kaum noch nachgewiesen werden.

Der Körper muss schnellstmöglich gekühlt und einbalsamiert werden, um einem Fäulnisprozess entgegenzuwirken. Dazu wird ein Zugang gelegt und bis zu 30 Liter Formalin, von dem später auch der beißende Geruch kommt, in eine Arterie gespritzt. Hier ist Vorsicht geboten, und strenge Richtlinien müssen eingehalten werden, denn Formaldehyd, der Basisstoff, ist in zu hoher Konzentration krebserregend. Der Verstorbene bleibt damit jedoch für ewig in seinem momentanen Zustand und könnte über Jahrzehnte in der Körperspende verbleiben. Die älteste Spenderin in Gießen wird seit 1972 beherbergt.

Nicht jedem fallen die „Präpkurse“ leicht

Aber es gibt auch Kurzzeitspender. Gerade wenn Angehörige darunter leiden, nach dem Tod des Verstorbenen keine Stätte zum Trauern zu haben, werden diese Personen vorgezogen und vor allem den Studenten zur Verfügung gestellt. „Präpkurse“ sind Pflicht im Medizinstudium, auch wenn man Hals-Nasen-Ohren-Arzt oder Psychiater werden will. Das fällt nicht jedem gleich leicht, aber ein Ohnmachtsanfall während des Kurses sagt noch nichts über die Qualifikation als Arzt und den späteren Erfolg in diesem Beruf aus. Allerdings wäre die Qualität eines Arztes niemals ausreichend, würde er nicht an einem Körperspender lernen dürfen. Dementsprechend dankbar sind alle Mitarbeitenden und Studierenden über die Opfergabe der jährlich bis zu 40 Spender. Die Dankbarkeit wird dann vor allem in der Beisetzung ausgedrückt, die einmal im Jahr ganz besonders feierlich und würdevoll in einem ökumenischen Gottesdienst abgehalten wird.

Die Kirche sieht es als Akt der Menschenliebe an

Sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche unterstützen die Körperspende ebenso wie auch die Organspende, und sie sehen sie als einen Akt der Nächstenliebe an. Matthias Schmid ist katholischer Pfarrer in der Klinikseelsorge der Uniklinik Gießen und sagt: „So kann mein toter Leib immer noch Zeugnis abgeben für meine Persönlichkeit, meinen Charakter, meine Einsichten und meinen Glauben.“

Körpersektionen im Wandel der Zeit

GeschichteSektionen am Menschen gab es bereits im dritten Jahrhundert vor Christus in Alexandria. Die Tiersektionen des Mediziners Claudius Galen im zweiten Jahrhundert nach Christus galten über ein Jahrtausend als Dogma der Heilkunde. Leonardo da Vinci und Michelangelo griffen im 16. Jahrhundert selbst zum Skalpell und veröffentlichten anatomische Darstellungen in ihrer Kunst. Da Vinci soll seine Leichen auf Friedhöfen ausgegraben haben. Im NS-Staat wurden Hingerichtete teilweise direkt nach dem Ableben seziert und präpariert. Leichname kamen ebenfalls von Euthanasie-Opfern aus Pflegeheimen oder Krankenanstalten.

Regelung Heute geschieht die Körperspende nach vorheriger Einwilligung: Jeder Körperspender muss seinen Körper schon zu Lebzeiten und in vollem Bewusstsein einem anatomischen Institut vermachen.