

Sindelfingen. Ein Abend, der nach Sommer klingt. Im Odeon der SMTT Sindelfingen sitzt ein gespanntes Publikum, als der erste Song des Abends erklingt. Fröhlich, rhythmisch, catchy – ein Ohrwurm, bei dem sofort mitgeklatscht wird.
Doch schon kurz darauf tritt Selina Janetschek, Musiklehrerin am Stiftsgymnasium, ans Mikrofon. In ihrer Moderation wird klar, was da zu Beginn des Konzerts der Songwriting-AG des Stiftsgymnasiums zu hören war: ein KI-generierter Song, erschaffen mit einem einzigen Prompt. Kein Mensch hat ihn geschrieben, niemand erzählt darin von sich.
Janetschek nutzt diesen Moment nicht, um zu belehren, sondern um zu irritieren – im besten Sinne. Die Erkenntnis, dass ein vermeintlich gefühlvoller Song ohne jede echte Erfahrung entstanden ist, trifft mitten ins Thema des Abends: Young Voices for Freedom and Responsibility. Freiheit – auch die, KI zu nutzen. Aber Verantwortung? Die beginnt woanders: bei der Frage, wie und wofür wir unsere eigene Stimme erheben.
Der Abend steht im Zeichen des Biennale-Mottos „Freedom and Responsibility“. Die Schüler*innen der Songwriting-AG haben sich ein Jahr lang mit genau dieser Spannung beschäftigt – nicht abstrakt, sondern durch Musik, Texte, Diskussionen. In einem Workshop mit der Band Sun’s Sons und unter der Leitung von Selina Janetschek und Malin Jacob sind Songs entstanden, die persönliche Erfahrungen und gesellschaftliche Themen miteinander verweben.
„Ich hab endlich verstanden, dass es beim Songschreiben nicht um die perfekte Harmonie der Akkorde geht, sondern darum, wie sehr man den Song fühlen kann“, sagt Schülerin Sruthi Prathabanaus der 7. Klasse.
Was schließlich auf der Bühne zu hören ist, beeindruckt. Vor jedem Song erzählen die Singer-Songwriter, worum es ihnen geht – leise, klar, sehr persönlich. Da geht es um Einsamkeit im Ausland, um das Erwachsenwerden, um die Suche nach einem Platz im Leben. Um Eltern, die Halt geben, aber auch loslassen müssen. Um Möglichkeiten – und Verantwortung.
Die Arrangements sind bewusst reduziert. Cello, Klavier, einzelne Stimmen. Mal von der Bühne, mal aus dem Raum, mal im Duett von der Empore. Und mittendrin Lieder, die sich mit Fragen auseinandersetzen, die größer sind als ein Schulprojekt. Der Umgang mit Umwelt und Klima, die Rolle der Frau in der Gesellschaft, der Mut, unbequem zu sein.
„Die AG hat mir das Selbstbewusstsein gegeben, alleine vor anderen Leuten – und später sogar auf einer Bühne – zu singen“, erzählt Martha Krebbel. Ihre Ballade ist das zweite Stück des Abends und nimmt das Publikum mit nach Neuseeland – ein Land, das in ihrer Musik zum Symbol für Freiheit und Selbstständigkeit wird.
Die Songs erzählen von sich selbst – und zugleich von vielen. Dass das so stimmig gelingt, liegt auch am respektvollen Umgang mit dem eigenen Material.
„Unsere Songs waren auf einmal fertig – es ging plötzlich ganz leicht“, beschreibt Julia Brehm den Moment, in dem aus Skizzen fertige Stücke wurden.
Dass ein solches Projekt entsteht, ist auch dem Zusammenspiel von Schule und Stadt zu verdanken. Kulturamtsleiter Herr Nau betonte in seiner Begrüßung, wie wichtig diese Verbindung sei – nicht nur organisatorisch, sondern künstlerisch. Junge Perspektiven sichtbar zu machen, sei ein zentraler Beitrag zum kulturellen Leben in Sindelfingen. Das Stiftsgymnasium ist bereits zum dritten Mal Teil der Biennale – und inzwischen nicht mehr wegzudenken.
Nach der Pause, in der die eigens produzierte CD mit allen Songs der Schüler erhältlich war, übernimmt die Band Sun’s Sons die Bühne. Die Band war nicht nur Impulsgeber im Workshop, sondern bringt mit ihrem eigenen Set eine neue Klangfarbe ins Konzert. Ihre Songs erzählen von Aufbruch und Zweifel, vom Wunsch nach Verbindung – besonders spürbar, weil die Band während der Pandemie lange nicht auftreten konnte. Immer wieder nehmen sie Bezug auf die Songs der Schüler, greifen Themen auf, lassen Raum für Resonanz. Ein Dialog zwischen Bühne und Publikum entsteht – nicht durch Worte, sondern durch Musik.
Das zeigt sich auch nochmal deutlich beim letzten gemeinsamen Song. Die Schüler*innen singen aus den Zuschauerreihen den Chorus des bewegenden Songs „In the boys locker room“, der vom Anderssein und Sich-Alleinfühlens erzählt. Plötzlich fühlte sich niemand mehr allein: Die Band, die Schüler*innen, die Stimmen des Abends gemeinsam auf der Bühne. Die Grenze zwischen Publikum und Bühne scheint aufgehoben. Und genau das passt gut zu einem Abend, der mehr will als gefallen. Er will zeigen, wie viel in jungen Stimmen steckt – wenn man ihnen Raum gibt.